Was würdest du dir wünschen, wenn du einen Wunsch frei hast?
Eine verwirrende Dreiecksgeschichte beginnt, als Kate Neverate, die auf der Suche nach ihrem Sohn ist, in den Hades verschleppt wird. Denn die Unterwelt, allen voran Trish, die Tochter des Dolios, hat ein starkes Interesse an Kates Tod. Während Trish jedes Mittel recht ist, um Kate in der Unterwelt zu töten, und dafür den Sterblichen Jaime benutzt, verliebt sich dieser in die hinterhältige Trish. Ihr Plan, dass Jaime Kate über ihre Liebe vernichtet, scheint zu scheitern. Auch, weil einige Götter und ihre Töchter einschreiten, die das Überleben der Menschheit sicherstellen wollen. Und dafür brauchen sie Kate …
Abenteuer, Fantasy, Liebe
Taschenbuch, 320 Seiten
Taschenbuch
eBook
Die Fortsetzung der erfolgreichen „Kate“-Reihe begeistert Testleserinnen und Leser gleichermaßen. Schon nach den ersten Seiten wird klar: Dieser zweite Band knüpft nicht nur nahtlos an den fesselnden Auftakt an, er übertrifft ihn sogar.
Kate selbst wächst weiter über sich hinaus. Sie wird als großherzig, stark, zielstrebig und inspirierend beschrieben – eine Figur, die Mut macht und zum Vorbild wird. Doch auch die Gegenspielerinnen überraschen: Trish, eigentlich die Böse, überzeugt mit Selbstbewusstsein und Härte, die sie faszinierend sympathisch wirken lassen. Jaime sorgt mit seiner sensiblen Art für Reibungspunkte, während Luventa als clever, charmant und unwiderstehlich gilt. So entsteht ein Figurenensemble, das Spannung, Tiefe und emotionale Intensität trägt.
Testleserin Luise Hoffmann fasst es so zusammen: „Insgesamt finde ich die Fortsetzung sogar noch besser als den gelungenen Debütroman. Man merkt, dass du dich weiterentwickelt und viele Erfahrungen gesammelt hast! Das Buch ist auch ohne Vorkenntnisse von Teil 1 sehr gut zu verstehen. Eine Geschichte voller starker Charaktere, intensiver Emotionen und klarer Denkanstöße. Falls ich Sterne vergeben könnte, wären es 5 von 5.“
Auch die Rezension von Donna Mühlberger spricht für sich: „Ein Buch wie eine Achterbahnfahrt. Kaum ist man eingestiegen, wird man mitgerissen durch Hochs, Tiefs und überraschende Wendungen. Ein Buch, das seinesgleichen sucht.“
„Kate – Die letzte Göttin“ ist ein mitreißendes Abenteuer voller Mythen, Magie und menschlicher Abgründe – spannend, emotional und packend bis zur letzten Seite.
Thriller, Fantasy, Liebe, Lebensgeschichte, Rache
Taschenbuch, 320 Seiten ISBN: 978-3960500575		 	€ 16.90
(auch als EBook erhältlich) € 8.99
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Kapitel 2
»Hier, nimm.« Kate legte Zealot eine Zitrusfrucht in den Sand, die er drehte, mühelos mit dem Schnabel schälte, mit einem Fuß festhielt, um sich dann eifrig über den saftigen Inhalt herzumachen.
Im Schneidersitz schwebte Kate über dem weißen Sand auf Akoníza, einer kleinen menschenleeren Insel, die einst Leto, Tochter der Titanen, gewidmet worden war. Nachdenklich blickte sie über die Millionen glitzernder Sternchen auf den seichten Wellen der Messara-Bucht.
Hinter ihr erhob sich ein gewaltiges Gebirge. Es war mit üppigem Grün überzogen und über einem imposanten Wasserfall stand ein Regenbogen in der Gischt. Paradiesische Vögel sangen ihr Lied in der Ferne, ein Vogelschwarm kreiste über der Düne, ließ sich nieder und stieg wieder auf wie ein Tanz im seichten Wind.
Kates einzige Habe trug sie am Körper. Es war ein ergrautes und stark verschlissenes Gewand mit Kapuze aus grobem Leinen sowie durchgetretene Sandalen, die sie bis zu den Knien geschnürt hatte, und ein kleiner Lederbeutel, gefüllt mit Goldstücken und etlichen Erinnerungen von Leuten, die sie nicht einmal kannte.
»Weißt du, Zealot, dass du der Letzte deiner Art bist?« Sie griff nach den Sternen, baute vor sich winzige leuchtende Punkte auf und ordnete sie nach dem Vorbild der Sterne am Nachthimmel an. »Das macht mich traurig und mir drängt sich eine Träne auf. Für dich und deine Art und für jede andere Art, die ihr Dasein auf dieser Welt für immer verwirkt hat. Es sind so viele Tiere ausgestorben, dass ich keinen klaren Blick mehr hätte, wenn ich für jede Spezies nur eine einzige Träne vergießen würde.« Sie wischte sich über ein Augenlid und pustete ihren kleinen Sternenhimmel auseinander. Er verteilte sich wie Staub und legte sich als glitzernder Puder über den Sand.
»Als ich auf die Erde kam, habe ich mich als Erstes darüber gewundert, warum die Menschen ihr Essen vergiften und Millionen Automobile benutzen, die die Stoffe des Tartaros produzieren. Ich wunderte mich, dass sie die Kenntnisse über die nachteilige Wirkung besaßen und dennoch an dieser Strömung festhielten, als sei es begehrenswert, Leid als Preis ihrer Ideen zu zahlen. Sie sind doch schlau und wissen, wie es besser geht. Mir fällt es sehr schwer, dieses Handeln nachzuvollziehen.« Kate half Zealot, an die andere Hälfte der Frucht zu kommen, und schälte ihm ein Stück von der Schale ab. »In letzter Zeit denke ich viel an den Olymp, mein Heim und meine Freunde. Doch gehöre ich überhaupt noch dorthin? Ist mein Zuhause nicht inzwischen auf der Erde und bin ich eine von ihnen geworden? Ich weiß es nicht mehr.« Entfernt des Ufers sprang eine Gruppe Delfine aus dem Wasser, tauchte wieder ab und hinterließ eine aufgewühlte Oberfläche. »Ich sehne mich nach der Geborgenheit und der Ordnung im Olymp und ich möchte den Schicksalsberg wiedersehen, den heiligen Fluss und die goldene Arena. Ich vermisse die Reinheit und ein gutes Mahl aus Nektar und Ambrosia. Was würde ich dafür geben, um noch einmal zurückzukehren. Mir bleibt nur die Hoffnung, dass sie das Tor wieder freigeben. Der Krieg ist doch längst vorbei, und ohne meinen Mann mag ich nicht mehr hierbleiben.« Sie strich dem zotteligen Vogel über das Köpfchen. »Du warst mir stets ein treuer Begleiter.«
Gedankenverloren beobachtete sie Zealot beim Fressen. Sein Gefieder war zerzaust und sein Schnabel stand schräg. Er war sehr alt geworden und Kate vermutete gar, dass er nicht mehr richtig sehen konnte. Doch er ließ es sich kaum anmerken. Seine Zeit neigte sich dem Ende zu.
Ihr verträumter Blick wanderte in die Ferne und zu Luan. »Er war ein guter Mann.« Die Erinnerungen mit all den glücklichen Momenten ihres Zusammenseins kamen in letzter Zeit seltener. Sie schloss ihre Hand, legte sie gefühlvoll auf ihre Brust und schmunzelte. »In seinem Leben tat er alles aus seiner großartigen Liebe zu mir. Ich vermisse ihn und es wird ewig so bleiben.« Mit dem Finger malte sie Kreise und Schlangenlinien in den Sand. »Damals dachte ich noch, dass die Zeit die Sehnsucht zu vertreiben vermag. Aber so ist es wohl nicht. Die Zeit trägt zwar bedächtig die Erinnerungen davon, aber vergisst, die Sehnsucht mitzunehmen.«
Sie strich ihm über das Köpfchen.
»Wenn du reden könntest, müsste ich mir jetzt bestimmt anhören, dass ich dir diese Geschichte schon eintausend Mal erzählt habe.« Sie wischte sich Sand aus einem Auge. »Vielleicht ist die Zeit für einen Neuanfang gekommen?«
Die Linien im Sand verbanden sich mit winzigen Hügeln zu einer Landkarte.
»Seitdem ich auf der Erde bin, sind mir wahrlich viele Menschen begegnet. Die meisten von ihnen versanken in ihrem Tun und dachten weder an sich selbst noch an andere. Viele von ihnen waren selbstsüchtig und verachteten gar ihr eigenes Leben oder das Leben um sie herum. Dabei haben wir ihnen doch Mitgefühl und die Sorgfalt gegeben und die Fähigkeit der Begeisterung. Es muss in den letzten einhundert Jahren etwas Katastrophales passiert sein. Warum erkennen so viele den Glanz dieser Welt nicht mehr? Vielleicht ist den Göttern ein Fehler unterlaufen und wir haben etwas übersehen?«
Sand rieselte aus ihrer Hand und bildete einen Hügel, von dem kleine Körnchen in Rinnsalen herunterrutschten. Dann kehrte sich der Strom des Sandes um, erhob sich von dem Hügel in ihre Hand und füllte sie wieder auf. Kate begann mit dem Zeigefinger darüber zu kreisen und ein winziger Tornado entstand, der in einer Spur die Landkarte zerbarst.
»Lass uns gehen, Zealot.«
»Du redest in letzter Zeit sehr viel mit deinem Papagei.«
Kate drehte sich um, sah Larina, erhob sich, ließ den Sand aus ihrer Hand fallen und rieb sich die restlichen Körner ab. Der kleine Tornado fiel in sich zusammen.
Larina hatte sich vor über zwanzig Jahren auf diese Insel zurückgezogen und führte ein einsames Leben hier draußen. Sie war eine wunderschöne ältere Frau mit großen wachen Augen und einer sehr breiten Nase. Ihre beinahe schwarze Haut war an diesem Tag mit grauem, getrocknetem Schlamm bedeckt. Unter dieser Schicht war noch immer ihre übliche Bemalung zu sehen. Diese weißen Formen waren wie Stoßzähne gebogen und verliefen unterhalb ihrer Augen bis zum Kinn. Eine Reihe schwarzer Punkte vervollständigte das Werk. Ihre Halskette hatte sie aus Samen verschiedenster Früchte gefertigt, genau wie sie die unzählig vielen Armreifen und ihre knappe Lederschürze selbst gemacht hatte.
»Er ist ein wunderbarer Zuhörer, Larina. Außerdem redet er nicht immer dazwischen.«
»Na, na, junge Dame. Irgendjemand muss dir schließlich die Flausen austreiben. Ich denke, dir fehlt Gesellschaft. Es wird Zeit, unter die Leute zu gehen, und dass du dir endlich einen Mann suchst. In dieser Ödnis verkümmerst du in Einsamkeit. Sieh hinauf zu den Wolken und in den klaren Nächten zu den Sternen. Nimm die Strömung in dich auf und höre, was der Wind dir rät. Frage dein Herz. Es wird wissen, was gut für dich ist.«
»Wie immer hast du recht.«
»Natürlich habe ich das, Kate. Wenn du erst einmal so alt bist wie ich, dann wirst du mich verstehen.«
Alt?, dachte Kate und schmunzelte. Wenn du wüsstest ... Ich muss es ihr sagen.
»Sag mal, du Träumerin, wieso sehe ich keine Fische in deinem Korb? Hast du wieder vergessen, dass du an der Reihe bist?«
»Ich erledige das gleich.« Gedankenverloren blickte Kate auf das glatte Wasser hinaus.
Larina alberte herum. »Du machst das immer später und ich muss mich jedes Mal wundern, wie du deinen Tag am Strand vertrödelst.«
»Wir sind jedenfalls noch nicht verhungert, oder?«
»Nein, wildes Mädchen. Du bist fleißig und anständig. Und du hast dich hervorragend eingelebt. Ich muss gestehen, dass ich anfangs nicht daran geglaubt habe.«
Kate sah sie verwundert an.
»Jetzt gehe schon fischen. Wie es den Anschein hat, fliegen dir die Fische ohnehin nur so zu.«
»Das tun sie.«
»Was?«
»Ach nichts. Mach dir um das Abendessen keine Gedanken. Denkst du wirklich, ich sollte zu den Menschen gehen?«
»Unbedingt, Mädchen. Du bist zu jung, um alleine mit einer alten Frau die Zeit zu verschwenden. Gehe in die Welt hinaus, lerne und schaue dir die Möglichkeiten an, die sich dort bieten. Und eines Tages kehrst du zu mir zurück und erzählst von deiner Reise. Ich bin mir fast sicher, dass dann eine reife Frau vor mir steht, erfahren und erwachsen. Dann wirst du mir von den unterschiedlichen Kulturen berichten, von den Menschen und Meinungen, von blühenden Landschaften und wundersamen Begebenheiten. Ich bin jetzt schon ganz aufgeregt.«
»Wie es scheint, solltest du diese Reise selbst einmal antreten. Warst du nie unterwegs?«
Larina winkte ab und lächelte unsicher. »Nein. Und jetzt bin ich zu alt für ein Abenteuer.«
»Du bist rüstig und könntest mich begleiten.«
»Ach, papperlapapp. Ich habe genug in meinem Leben gesehen.« Rasch wechselte sie das Thema: »Du wirst mir doch von der Liebe erzählen, wenn du ihr begegnest?«
»Klar. Aber ich suche sie nicht. Luan ist noch immer in meinem Herzen.«
Sie winkte ab. »Du bist eine wunderschöne, schlaue Frau. Luan liegt in der Vergangenheit. Hänge nicht ewig den alten Dingen nach. Deine Trauer wird vergehen und du wirst immer das Gute im Herzen behalten, das ihr gemeinsam erlebt habt. Richte deinen Blick in die Zukunft und empfange das Wunder des Lebens.«
Ohne sie anzusehen, nickte Kate.
»Wenn du zurückkehrst, wirst du ein paar kräftige, gesunde Kinder haben und du wirst erfahren, was nur eine Mutter fühlen kann.«
»Wie immer bist du sehr charmant.« Kate umarmte sie. »Ich lasse dich nur ungern alleine.«
Gespielt beleidigt verzog Larina ihren Mund. »Glaubst du, ich komme nicht ohne dich zurecht? Weißt du nicht mehr, dass ich auf diese Insel gekommen bin, um meine Ruhe zu finden? Wie hätte ich ahnen können, dass eine Quasselstrippe angeschwemmt wird, die mir tagein und tagaus in den Ohren liegt. Es wird höchste Zeit, meine ersehnte Ruhe in Anspruch zu nehmen. Nein, junge Dame, du gehst mal schön in die große weite Welt. Ich habe dir alles beigebracht, was ich weiß. Alles Weitere findest du dort draußen.« Sie zeigte über das Meer.
»Gut, ich werde gehen. Aber bevor ich mich auf den Weg mache, muss ich dir noch etwas zeigen.« Kate eilte ins flache Wasser, stellte ihre Beine auseinander und hob ein wenig die durchgestreckten Arme an. Mit den Handflächen nach unten gerichtet, spreizte sie ihre Finger weit auseinander. Um sie herum fing das Wasser zu brodeln an und unzählig viele Fische umkreisten ihre Füße.
Kate hob eine schwere, silbergraue Finte heraus, die kurz zappelte, von einem Blitz überzogen wurde und eine Sekunde später leblos auf ihren Händen lag. Im gleichen Augenblick wurde das Wasser wieder ruhig und die letzten kleinen Wellen trieben in sanften Kreisen hinaus. Kate drehte sich um und trat ans Ufer zurück. Larina war verschwunden.
Irritiert schweiften ihre Blicke über den Sand bis zu den Dünen und den ersten Palmen. Sie war nicht zu sehen. »Larina? Hast du das gesehen?«
Stille.
Behutsam legte Kate den Fisch auf den feuchten Sand, kniete sich davor nieder, legte ihre Finger ineinander und murmelte etwas von Dank und Vergebung. Dann nahm sie die Finte und ging zum Lager.
Unter ihren Füßen richtete sich das trockene Gras auf, wurde saftig grün und bildete Knospen, die hinter ihr zu perfekten Blüten aufsprangen.
Larina saß auf dem abgewetzten Stamm an der Feuerstelle und putzte die große Reisschüssel mit ein paar Blättern.
»Ich wollte dir zeigen, wie ich Fische fange. Wo warst du?« Sie hielt Larina die Finte entgegen.
»Gib mir das Prachtexemplar. Wie ich sehe, hattest du wieder eine große Portion Glück.«
»Nein, hatte ich nicht. Ich muss dir etwas sagen.«
»Wieso zögerst du? Ist etwas passiert?«
»Nichts Schlimmes.« Kate überlegte. »Ich wollte es dir schon viel früher sagen, aber ich ...«
Larina stellte die Schüssel beiseite und sah Kate in die strahlenden Augen, deren Farbe dem wolkenlosen Himmel glichen. »Raus mit der Sprache.«
»Ich bin eine Göttin.«
Larinas Miene änderte sich kein bisschen. Dann griff sie nach neuen Blättern und widmete sich wieder der Schüssel.
»Warum sagst du nichts?«
»Ist das alles?«
»Ja«, sagte Kate verwundert.
»Dann ist es ja gut.«
»Du wusstest es?«
»Aber natürlich weiß ich es. Wir sind alle Götter. Und eines Tages wird es uns bewusst. Schau mal, kleine Dame, wenn zum Beispiel Warane Nachwuchs bekommen ... Was kommt dabei heraus?«
»Ein kleiner Waran?«
»Nein.«
»Viele kleine Warane.«
»Ja, aber es sind Geschöpfe der Götter. Jedes einzelne Wesen auf dieser Erde ist das Resultat der Erschaffung durch die Götter. Oder was meinst du, wie der Funke des Lebens entsteht?«
»Die Seele findet das neue Leben.«
»Genauso ist es. Glaubst du, bei den Menschen ist es anders? Wir alle sind Kinder der Götter, wurden nach ihrem Ebenbild erschaffen und sind demnach ...?«
»Götter?«
»Ja. Und zwar alle Lebewesen auf diesem Planeten.«
»Du hast ja recht, aber so meine ich das nicht. Ich bin die Tochter der Meeresnymphe Amathia und des Charon, dem einstigen Gott der Unterwelt.«
»Ich weiß. Und dafür danke ich dir.«
»Du glaubst mir nicht.«
Larina legte die Schüssel wieder beiseite, knüllte die aufgespaltenen Blätter zusammen und legte sie neben den Stamm. »Bisher habe ich nie nach deiner Herkunft gefragt. Die Zeit muss für alles reifen und mit der nötigen Geduld wirst du entweder die Wahrheit erfahren oder kundtun. Du sollst wissen, dass ich deine Sehnsüchte genauso teile wie deine blühende Fantasie. Denn all das bildet deinen wunderbaren Charakter.«
»Aber es gibt sie wirklich.«
»Ja, mein Kind.« Larina erhob sich, nahm die Finte und sagte: »Wir brauchen noch ein paar Kräuter. Kannst du dich darum kümmern?«
Sie legte den Fisch vor dem Zelt ab und ging in das Wäldchen, um Reisig zu holen.
Kate sah ihr nach, hockte sich auf den Boden zu einer Eidechse und flüsterte ihr, ohne die Lippen zu bewegen, die Namen einiger Kräuter zu.
Es dauerte nicht lange, bis die Schar Eidechsen mit Salbei, Thymian und Lavendel zurückkam und alles vor Kates Füßen ablegte. Rasch verschwanden sie wieder im Unterholz. Kate legte die Kräuter auf den Stamm und ging zum Strand hinunter.
Als die Sonne den Horizont streichelte und das Meer in ein wunderschönes Gemälde verwandelte, wehten feine Düfte von gebratenem Fisch über die Küste. Eine seichte Rauchsäule stieg vom Lager auf.
Kate dachte an Larina und daran, sie einmal dem Hohen Rat vorzustellen. Wenn Zeus sie früher kennengelernt hätte mit all ihrem Wissen über die Natur und den Menschen, ihrer Liebe und ihrem reinen Herzen, dann wäre sein Blick auf die Menschen ein anderer gewesen. Sie war wie ein Relikt aus der ursprünglichen Zeit.
»Komm, Zealot. Larina wird schon auf uns warten.« Kate erhob sich und winkte ihrem Papagei zu. Dann strich sie sich den weißen Sand vom Cape und verließ den Strand.
Das Abendmahl duftete lecker. Um das Feuer standen zwei hübsch drapierte Teller aus Palmenblättern mit ein wenig Reis und gezupften Kräutern darauf. Für Zealot war je eine aufgeschnittene Kiwano und eine Tamarillo bereitgelegt.
Larina kam aus dem Zelt. »Na, das wird ja Zeit, junge Dame. Das Essen wird schon kalt.« Sie deutete auf den Sitzstamm, zupfte sich die Haare zurecht und gesellte sich zu ihnen.
»Du bist eine fabelhafte Köchin«, sagte Kate, aß wie immer aus Anstand ein Stück und widmete sich dem saftigen Obst.
»Und dennoch isst du wie ein Kolibri. Greif zu. Du musst stark für deine Reise sein.«
Kate stellte ihren Teller neben sich ab und rückte näher zu ihr heran. Sie fiel Larina um den Hals und flüsterte: »Danke. Ich fühle eine feste Verbundenheit zu dir.«
»Hoffentlich bin ich noch hier, wenn du zurückkehrst.«
»Das hoffe ich auch. Doch mein Gefühl verrät mir eine lange Reise, von der es kein Zurück geben wird. Aber egal, was auch immer geschieht, ich werde dich nie vergessen.«
Im Folgenden aßen und tranken die beiden und erzählten sich Geschichten, bis der sternenklare Himmel ihre festliche Beleuchtung bildete. Zwischendurch zeigte Kate zum Sternenbild Orion und erzählte von ihrem Mann. Sie begann bei ihrer Begegnung im Lancaster Community Park und beschrieb sehr anschaulich ihren ersten Kuss und wie sehr er in sie verknallt gewesen war und dass sie doch keinen Menschen hatte küssen wollen. An dieser Stelle verbesserte sie sich und umschrieb es als die Liebe auf Umwegen. Ihren gemeinsamen Weg zum Tartaros schilderte sie als gewichtiges Ereignis einer langen Reise in ein fernes Land. Bei all ihren Erzählungen gestikulierte sie eifrig und versuchte alles so anschaulich wie möglich auszumalen, holte kaum Luft in ihrem Redeschwall und ließ Larina nur hin und wieder zu Wort kommen. Als mitten in der Nacht das Meer die kalte Luft über die Insel trug, wurde es still im Lager. Ihre Abschiedsworte waren leise.
»Ich liebe dich, Larina. Du hast einen Platz an der Tafel des Rates verdient.«
»Halte die Augen auf, mein Kind. Die Welt dort draußen ist anders als die Einsamkeit bei uns. Sie ist schnell und laut und sie ist beherrscht von Macht, Gier und Manipulation. Aber wenn du genau hinsiehst, findest du das Gute dazwischen. Halte an jenem Ort Ausschau nach der Liebe. Es ist das Größte, was du dort draußen finden wirst. Und wenn du die Liebe gefunden hast, halte sie fest und verweile an diesem Ort. Wo auch immer er sein mag.«
Das Feuer knackte einige Male und das gleichmäßige Schlagen der Wellen spielte in der Dunkelheit sein unablässiges Lied.
Am folgenden Morgen waren die Steine der Feuerstelle noch warm. Larina schlief im Zelt und Kate stand mit klaren Augen am Ufer und hieß die ersten Sonnenstrahlen willkommen. Sie atmete bewusst die salzige Luft ein und versank im Glanz der spiegelglatten Oberfläche des Meeres, die das Firmament verdoppelte. Ein lauer Wind strich ihr durch das Haar. Immer wieder schnappten Fische nach Insekten, die zu dicht über der Wasseroberfläche flogen.
Kates Sandalen warfen den Sand auf und hinterließen Spuren vom Lager bis zum Wasser. Dann schwebte Kate über dem Meer. Eine Weile saß Zealot auf ihrer Schulter, bis er seine Flügel ausbreitete und auf das Meer hinaus, der Sonne und Kreta entgegenflog.
Kate beschloss, nach Lancaster zu gehen. Dem Ort, wo ihre Reise nach ihrer Verbannung begonnen hatte.
Plötzlich wurden ihre Füße festgehalten, sie tauchten ins Wasser und Kate verlor den Halt, fiel vornüber und platschte hinein. Hastig ruderte sie mit ihren Armen, drehte sich im Wasser, tauchte unter, vernahm die gedämpften Geräusche, sah die aufsteigenden Luftblasen und spürte die Kälte unterhalb der warmen Wasserschicht. Verwirrt schwamm sie an die Oberfläche, blinzelte, schüttelte sich das Wasser aus den Haaren und suchte nach einer Erklärung für ihren Sturz. Ein dicker Tropfen auf ihren langen Wimpern spiegelte die aufgehende Sonne und nahm ihr blendend die Sicht. Sie breitete ihre Arme aus, um sich zu erheben, doch anstatt aus dem Wasser zu gleiten, sank sie tiefer.
Als sie wieder auftauchte, landete Zealot krächzend auf ihren nassen Haaren. Am Ufer saß jemand im Sand und warf desinteressiert Steinchen ins Wasser. Jedenfalls war das nicht Larina.
Als Zealot zu viel Spritzwasser von Kate abbekam, stieg er auf und flog zum Strand. Kate erhob sich im flachen Wasser und watete auf den jungen Mann mit den kurzen schwarzen Haaren zu. Er trug eine schwarze Lederjacke und Bluejeans und hatte lässig ein Tuch um den Hals gebunden. Unbeeindruckt von ihrer Anwesenheit warf er weiter Steinchen.
»Wer seid Ihr?«
Lächelnd schenkte er ihr seine Aufmerksamkeit, ließ einen Stein in den Sand fallen und erhob sich langsam. Er wischte sich den Sand von der Kleidung und seinen Händen. In der Tradition der Götter verneigte er sich mit der Hand auf der Brust.
»Wie seid Ihr auf diese Insel gekommen? Ich habe kein Boot gesehen«, bohrte Kate weiter, stemmte ihre Arme in die Hüfte, schüttelte sich, sodass das Wasser zu allen Seiten aus ihren Haaren sprang.
»Euer Anblick ist entzückend. Ich habe in den vergangenen Jahren viele Kunstwerke von Euch gesehen und besitze sogar einen echten Oionos mit Eurem Konterfei, doch das Original übertrifft es bei Weitem.«
Kate zupfte an ihrem nassen Cape, das viel zu eng an ihren Brüsten und dem Bauch klebte und zu leicht seine Blicke auf ihre Konturen lenkte.
»Ihr könnt mich Pandion nennen.«
»Pandion, der Sohn des Erichthonios? Ist er nicht tot?«
Seine freudige Mine versteinerte kurz, doch sie kam schnell zurück, als er sich umsah, noch ein Steinchen aufsammelte und es über die Wasseroberfläche springen ließ.
»Das waren sieben Sprünge. Wollt Ihr auch mal?« Er hielt ihr einen flachen Stein entgegen.
Kate reagierte nicht darauf.
»Ihr seid nicht schlecht, verehrte Meeresnymphe. Bereits nach wenigen Sekunden habt Ihr mich durchschaut. Vielleicht bin ich nicht Pandion. Was hat das schon zu bedeuten? Könnt Ihr mich dennoch so nennen?«
»Was habt Ihr zu verbergen? Ich sehe, dass Ihr eine Gottheit seid, doch ich kenne Eure Augen nicht.«
»Zu viel steht auf dem Spiel.« Er räusperte sich. »Ich möchte Eure Zeit nicht mit Vorgeplänkel verschwenden, Kate Neverate. Der wahre Grund, warum ich hier bin, ist es, Euch um die Macht des Schwarzen Lichtes zu bitten. Missversteht mich nicht. Ich schätze und verehre Euch zutiefst. Aber Ihr werdet mir Eure Gabe übergeben müssen.«
»Glaubt Ihr, ich verteile meine Kräfte mit vollen Händen an unbekannte Götter?«
»Natürlich nicht. Seht es einmal so: Jeder mächtige Gott ist dieser Tage an Eurer einmaligen Kraft interessiert. Es werden andere kommen, um sie Euch abzuluchsen. Nur kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass auch nur einer von ihnen freundlich mit Euch verhandelt. Wenn Ihr diese Macht nicht mehr besitzt, wird Euch nichts passieren. Ich bin also hier, um Euch zu helfen.«
Kate verschränkte die Arme. »Ich kann gut auf mich selbst aufpassen.«
»Dann muss ich sie mir holen.«
»Ihr seht intelligent genug aus, um zu wissen, wie Eure Erfolgsaussichten stehen.«
»Ja, schon. Mir sind Eure Fähigkeiten bestens bekannt. Ich habe dem Kampf beim Fest der Feste beigewohnt. Aber meine Bitte ist eine ernste Angelegenheit. Gebt Eurem Herz einen Ruck. Ich habe nicht vor, gegen Euch zu kämpfen.«
»Dann nennt mir einen guten Grund dafür.«
»Gerne. Es gibt wichtige Neuigkeiten aus dem Olymp, verehrte Nymphe. Seit Ihr den Olymp verlassen habt, ist viel geschehen.«
»Von was redet Ihr?«
»Ich rede von dem Krieg im Olymp und der Entscheidung, die Erde aufzugeben.«
»War deshalb das Tor geschlossen? Ich habe in den letzten Jahren mehrfach versucht zurückzukommen.«
Pandion nickte. »Es tut mir leid für Euch. Aber niemand hatte vor, den Krieg auf die Erde auszudehnen.«
»Was meint Ihr damit, ›die Erde aufzugeben‹?«
»Ganz so, wie ich es sage. In diesen Tagen verlassen die Götter den Olymp. Es ist beschlossene Sache. Sie haben eine neue Galaxie gefunden, in der sie ganz von vorne beginnen wollen. In zwei Monden wird nichts mehr von der Welt und dem Olymp übrig sein. Wenn Ihr mich fragt, finde ich diese ganze Sache reine Verschwendung. Denn ich war gerne hier, auch wenn ich nicht blind bin und sehr wohl die Gründe nachvollziehen kann.«
Kate sah ihn schräg an. Sie konnte nicht glauben, was sie hörte. »Ich weiß nicht, wovon Ihr redet. Wieso wollen sie alles aufgeben? Was soll aus der Erde werden, den Menschen, den vielen Tieren und dem reichhaltigen Leben darauf? Wenn die Götter verschwinden, zerfällt die Welt in den Ursprung.«
»Das mag durchaus sein. Wir wissen aus sicherer Quelle, dass die Menschen selbst die Vernichtung vorbereiten. Wisst Ihr, Kate, Zeus bemerkte sehr früh, wie aggressiv die Menschen voranschreiten, und wollte sie rechtzeitig stoppen, also den Fehler der Erschaffung rückgängig machen. Doch wie Ihr wisst, hat Euer Mann den einzigen Gott getötet, der dieses Unheil hätte aufhalten können. Jetzt ist es zu spät, Kate Neverate. Letztlich ist Euer hochgeschätzter Mann für den Untergang dieser Welt verantwortlich. Ganz nebenbei hat Euer närrischer Vater ihm auch noch den göttlichen Titel für seine Missetat verliehen.«
Harsch schüttelte sie den Kopf. »Niemals! Luan hat diese Welt und mich immer beschützt. Er hat die Menschheit vor dem Untergang bewahrt. Zeus war im Unrecht.«
»Ich weiß. Damals hätte ich nicht anders entschieden und genau wie Luan vom Schicksalsberg gehandelt. Es ist oft nur der Blickwinkel, der die Ereignisse in Recht und Unrecht unterteilt.«
»Erklärt mir diese Entscheidung. Was hat sich in den vergangenen einhundert Jahren so drastisch verändert?«
»Seht Ihr nicht, was die Menschen mit ihrer Welt getan haben und wie sie alles zum Nachteil verändern? Sie machen aus der Zufriedenheit die Unzufriedenheit, aus der Kraft die Kraftlosigkeit, aus dem Mitgefühl den Hass und aus der Liebe die exzessive Fleischeslust. Aber das ist nicht alles. Sie produzieren solch heftige Waffen, um sich und die Erde für immer zu vernichten. Zugegeben, es sind nur wenige, die diese Waffen erfinden, und noch ein paar weitere, die sie bauen. Aber alle anderen lassen es gleichgültig geschehen.«
»Jeder Mensch für sich genommen ist im Kern gut und genauso, wie wir sie sehen wollten. Ich kenne sehr viele Menschen, die Zeus gefallen hätten.«
»Das mag sein. Leider trifft diese Gutherzigkeit in der Gemeinschaft offenbar nicht mehr zu. Inzwischen sind sie zu weit gegangen, haben ihre Kompetenzen überschritten und mit ihrer Arroganz die Schöpfung beleidigt. Ich kann es leider nicht anders sagen, aber die Menschen sind die Geschwulst der Welt geworden. Sie stülpen sich über alles, breiten sich unkontrolliert aus und machen sich selbst krank, genau wie den Lebensraum um sie herum. Sie vernichten und verändern unsere Ordnung. Inzwischen machen sie es derart gewissenhaft, dass dieser Zustand unumkehrbar ist. Seht Euch die verseuchten Meere an, die hohe Radioaktivität in vielen Gebieten, Plastikteilchen anstelle von Plankton im Meer und neuerdings versetzen sie großflächig das Lebenselixier mit mehreren hundert Chemikalien für ihre eigenen Profite. Über achtzig Prozent der Artenvielfalt haben sie schon ausgerottet und es gibt kaum noch eine Stelle auf der Erde, die sie nicht konterminiert haben.«
»Ich weiß, dass Schreckliches geschieht. Das ist einer der Gründe, warum ich mich auf den Weg machen wollte. Wenn alle Götter mit anpacken, können wir sie in ihrem fürchterlichen Drang stoppen.«
»Das wäre viel Arbeit. Und doch stehe ich ganz auf Eurer Seite. Nur hätte es wirklich einen Sinn? Sie würden auch beim nächsten Mal nicht anders handeln. Es ist besser, nicht einzugreifen, wenn sie ihre Macht ohne Rücksicht auf das Leben demonstrieren wollen.«
»Bereits in zwei Monden?«
Pandion nickte. Sein Blick wirkte traurig.
»Kann ich irgendetwas tun, um die Katastrophe zu verhindern und die Götter umzustimmen? Ich könnte versuchen, die Liebe zu den Menschen zurückzubringen.«
»Sie kennen längst das alte Wissen nicht mehr. Und Ihr könnt keine gigantische Krankheit mit Eurer Liebe heilen. Sie werden das Undenkbare tun und haben noch nicht mal einen Plan parat, wie es ohne ihre Lebensgrundlage mit all ihren durchdachten Strukturen weitergehen soll. Im rasenden Eifer werden sie sich selbst vernichten.«
»Dann ist es beschlossen?«
»Ja, die Götter beginnen von Neuem. Das Problem sind die Streitigkeiten um die folgende Herrschaft. Mein Platz ist mir sicher und mir ist auch ziemlich egal, wer etwas zu sagen hat. Allerdings würde ich mich freuen, wenn wir beide einen Deal aushandeln könnten. Ihr gebt mir die Macht des Schwarzen Lichtes und ich schleuse Euch durch das Himmlische Tor.«
»Netter Versuch.«
Er verzog seinen Mund. »Notfalls nehme ich mir diese Macht.«
»Ich bin Euch für Eure Offenheit dankbar, auch wenn ich nicht verstehe, warum Ihr mir Euren wahren Namen verschweigt. Jedoch würde ich Euch nicht raten, mir zu nahe zu kommen. Ihr werdet den Kürzeren ziehen.«
»Hinter mir steht ein gigantisches Heer. Ich wäre ohne Weiteres in der Lage, mir zu nehmen, was ich möchte.« Er drehte sich mit ausgebreiteten Armen hin und her. »Seht Ihr etwas davon? Ich bin - verdammt noch mal - alleine zu Euch gekommen.«
»Ich habe bereits gegen ganze Armeen bestanden. Droht mir besser nicht. Und jetzt wird es Zeit für Euch zu gehen.«
»Wollt Ihr zurückbleiben und mit ihnen sterben?« Er schoss einen glühenden Feuerball auf sie, der so überraschend kam, dass er ihr Cape entflammte und Kate durch die enorme Wucht ins Wasser schleuderte. Die Wellen löschten die Flammen. Aufgestützt im Wasser sitzend sammelte sie sich.
»Entschuldigung, verehrte Göttin«, sagte er glaubwürdig.
Sie richtete sich auf und ging grimmig zum Strand zurück. Bevor sie das Wasser verließ, wurde sie am Knöchel gehalten und zurückgezogen. Der nasse Sand unter ihr wurde weich, saugte sie innerhalb einer Sekunde in die Tiefe und legte sich über ihren Körper, als ob sie nicht dort gestanden hätte.
Der Boden riss auf, spritzte hoch aus dem Wasser und Kate schoss daraus empor, bis sie in fünfzehn Metern Höhe verharrte. Flink wich sie zwei Blitzen aus und schrie: »Haltet ein. Das ist meine letzte Warnung.«
»Gerne. Wenn Ihr mir die Macht gebt.« Er täuschte einen Feuerball an, ließ aber das Meer an ihrer Stelle ansteigen, was sie überspülte und mit sich riss.
Als Kate aus dem Wasser emporschwebte, wurde sie von einem Felsbrocken getroffen und strauchelte rückwärts. Einige Meter weiter fing sie sich mit ausgestellten Armen in der Luft ab und bremste den Flug des Felsens, zermalmte ihn und schleuderte die entstandenen Brocken zurück wie die Kugeln eines Schrotgewehrs.
Pandion schützte sich mit einer Energiewelle aus dunkler Energie, rollte zur Seite und ließ über Kate Lava vom Himmel regnen. Sie verbrannte sich am Arm und der Hand, bevor sie den Regen auflösen konnte, und riss die Luft um Pandion auseinander, dass er in einer luftleeren Kugel schwerelos ruderte.
»Lasst ab, wer auch immer Ihr seid. Geht nach Hause oder Ihr werdet diesen Tag nicht überleben«, schrie sie ihm zornig entgegen.
Kopfüber schwebend rief er: »Ihr habt gewonnen, Kate. Lasst mich runter.«
Sie ließ ihn sanft in den Sand fallen, blieb aber in Abwehrstellung und sicherer Entfernung schweben.
»Vielen Dank, Kate.« Er richtete seine Kleidung. »Ich habe Euch gewarnt. Es werden andere kommen und nach Eurem Leben trachten. Und am Ende werdet Ihr einsam mit dieser Welt untergehen.«
»Selbst wenn ich wollte, könnte ich nicht mit Euch gehen. Meine Kinder verweilen noch auf der Erde. Auf keinen Fall werde ich sie zurücklassen.«
»Findet sie schnell.« Pandions Aura begann zu leuchten. Er breitete seine Arme aus und verblasste zusehends. Er zwinkerte ihr zu. »Andernfalls werde ich mich persönlich um Eure Töchter kümmern, verehrte Neverate.« In den warmen Winden zerstreute er sich. Nur seine Stimme säuselte noch: »Ab sofort wird Eure göttliche Kraft bei jedem Tun versiegen.«
Mit der heiligen Woge der Anziehung holte sie seinen Schatten aus den Wolken zurück, doch es war zu spät. Pandion war nicht mehr auf dieser Welt.
Wütend blickte sie ihm nach. »Ich werde Euch finden und Ihr werdet für diesen Frevel bezahlen.«
Kapitel 3
Vor dem Kleiderschrank hielt sich Jaime ein Shirt mit Stehkragen an die Brust. Trish fläzte derweil auf der schmalen Couch seines Zimmers und lackierte sich ihre Fingernägel auf besondere Weise. Er konnte nicht anders, als diesem Schauspiel neugierig zu folgen.
Aus ihrem Zeigefinger sprudelte ein magischer Strahl, der wie kolorierte Energie aussah, den sie auf ihre Nägel richtete und sie in Sekunden pink, dann rot und schließlich zart lila färbte.
Er staunte nicht schlecht, als sie darüberpustete und er das Ergebnis sah. Sie wedelte mit ihrer Hand und zeigte ihm die Finger. »Gefällt dir das?«
»Ich fand Pink besser. Passt zu deinem Gesicht.«
»Prinzessinnenpink also. Hm«, sagte sie und überlegte. Ohne den Kopf anzuheben, blickte sie ihn von unten herauf an. »Ich will aber keine Prinzessin sein. Die sind immer so unnatürlich süß.«
»Aber du bist süß, wenn du mal keine Leute umbringst.«
Ihr Lächeln wirkte anziehend. »Also kein Pink. Warte, ich habe eine Idee.«
Wieder prasselte der Strahl auf ihre Fingernägel. Konzentriert schoben sich ihre Lippen schräg und ihre Zunge fuhr hektisch dazwischen und hin und her. Mit leuchtenden Augen präsentierte sie ihre neuen Nägel mit auseinandergespreizten Fingern. Sie waren deutlich länger, verliefen jetzt spitz nach vorne und trugen ein akkurat aufgebrachtes mattes, dunkles Violett. Darauf leuchteten gelbe Augen, die schwarz gerahmt waren, wie in einem Comicheft, nur dass sie tatsächlich blinzelten.
Jaime musste sich das näher ansehen. Die aufgemalten Augen verfolgten seine Bewegung und zwinkerten ihm unterschiedlich zu.
»Das ist heftig gruselig. Du entführst mich in eine Welt der Albträume.«
»Also findest du das nicht gut.« Sie zog einen Flunsch.
»Ich würde die Augen und die Spitzen weglassen. Die Farbe ist toll.«
Sie betrachtete ihre Nägel, hielt die Hand gegen das Licht und zur Seite und sagte: »Meinst du wirklich?«
»Ja. Ich fühle mich total beobachtet.« Er lief zum Fenster und zurück zur Tür und achtete auf die gelben Augen, die ihn stets im Blick behielten. »Wie soll ich jemals wieder ein normales Leben führen? Wenn ich auch nur ein Wort darüber erzähle, stecken die mich in die Klapse und lassen mich nie wieder raus.«
Sie überschlug ihre Beine und zeigte zum Schrank. »Beeile dich ein bisschen. Wir haben nicht ewig Zeit. Im Übrigen brauchst du dir über solche Sachen keine Gedanken zu machen. Du wirst nie wieder in dein altes Leben zurückkehren.«
»Nie wieder? Was wird aus der Uni? Ich brauche den Abschluss.«
Trish lachte. »Du bist lustig. Was meinst du, welche Abschlüsse du für eine Göttin aus dem Olymp brauchst oder im Hades, bei den verlorenen Seelen, falls du unsere Mission versaust?«
»Ja, klar. Mach mir nur Mut«, sagte er etwas lauter und versuchte nicht, den Sarkasmus zu unterdrücken.
Die Haustür schlug zu.
Trish lauschte aufmerksam. »Hast du das gehört? Wer kommt uns besuchen?«
»Das wird meine Mom sein.« Er legte sofort in ernstem Ton nach: »Du wirst ihr nichts tun.«
»Sonst was?«, sagte sie ruhig und ihre Stimme kratzte leicht.
Jaime schloss die Zimmertür und stellte sich breitbeinig und mit verschränkten Armen davor. »Nichts sonst. Sie hat nichts mit unserer Sache zu tun. Lass sie da raus.«
Trish klopfte mit flacher Hand auf das Polster neben sich. »Beruhige dich. Ich bin doch nicht blöd, auch wenn ich sie liebend gerne quälen und töten würde.« Sie zwinkerte ihm zu, doch ihn schien das nicht sonderlich zu beruhigen. »Jetzt krieg dich wieder ein.« Sie hob ihre Hand in die Luft und streckte zwei Finger nach oben. »Ich schwöre.«
»Schwörst du beim Leben deiner Mutter?«
»Was hat Penelope damit zu tun? Ich kenne sie nicht einmal persönlich.«
»Dann schwöre bei deinem Leben.«
»Was soll das bringen?« Sie lehnte sich zurück. »Jetzt beruhige dich. Ich werde ihr wirklich nichts tun.«
Die Zimmertür sprang auf und seine Mutter trat ein. Sie zupfte am Ärmel ihrer weißen Strickjacke und sah erstaunt zu Trish.
»Mom, du sollst anklopfen«, sagte Jaime genervt.
»Entschuldige bitte. Wie ich sehe, hast du einen Gast mitgebracht.« Sie ging zur Couch und reichte Trish die Hand.
Diese lächelte freundlich und schlug mit festem Handdruck ein. »Hallo, Mom von Jaime. Schön, Sie kennenzulernen.«
»Du kannst mich Sophie nennen. Macht ihr zusammen Hausaufgaben?«
»Mom, bitte.« Jaime zeigte zum Ausgang.
»Wir haben eine wichtige Mission zu erfüllen, Miss Sophie. Leider muss ich dafür Ihren Sohn entführen. Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen?«
Sophie lächelte. »Schon gut. Ich freue mich, wenn ihr euch gut versteht. Nehmen Sie ihn mit und bringen ihn wieder heil zurück. Ich wünsche euch viel Spaß.« Sie drehte sich um, setzte einen Fuß in den Flur und blickte noch mal zu Jaime. »Sie ist ein nettes Mädchen. Pass auf sie auf.«
Als die Tür in Schloss gefallen war, sagte Trish: »Siehst du, sie findet mich nett und hat nichts dagegen, wenn ich dich mitnehme.« Sie strich sich durch die Haare. »Wenn ich mir das recht überlege, ist sie die Einzige, die mich jemals nett gefunden hat. Nicht mal du kannst es schätzen, wenn ich dich einer Göttin vorstellen will.«
»Ich habe dich schließlich Dinge tun sehen, die ein ›Nett‹ oder jede andere positiv besetzte Eigenschaft verhöhnen würden.«
»Beleidigst du mich gerade?«
»Vermutlich nicht.«
Sie stützte ihren Kopf auf die Hand und den Ellenbogen auf ihr überschlagenes Knie. »Ich kann mich nicht erinnern, dass schon irgendjemand so frech zu mir war. Bisher standen sie alle nur blöd herum und haben sich in die Hosen gemacht.«
»Ich gehe mal davon aus, dass sie danach alle gestorben sind.«
»Klar, woher weißt du das?«
Er winkte ab. »Sag mal, legst du überhaupt keinen Wert auf Freundschaften?«
»Diese Frage stellt sich doch gar nicht. Das wäre so, als ob ich dich fragen würde, ob du dir nichts aus Leid und Tod machst. Manche Dinge kann man einfach nicht vergleichen. Im Übrigen bist du mit der Auswahl deiner Kleidung noch kein Stück weitergekommen.«
Jaime ging wieder zum Schrank, griff nach einer Bluejeans und drehte sich wieder um. »Hast du überhaupt keinen festen Freund?«
»Ich mag Feinde viel lieber. Das gibt den richtigen Kick für den Tag. Außerdem erhält nur derjenige mit den meisten Feinden den größten Ruhm.«
»Dann bist du mit niemandem zusammen, mit dem du träumen und rumalbern kannst und ...« Er hüstelte. »... Sex hast?«
»Sehr wohl habe ich so jemanden. Er lebt in Minneapolis. Nur würde ich nicht auf die Idee kommen, mit ihm herumzualbern.«
Jaime grinste und wandte sich wieder dem Schrank zu.
»Was findest du so lustig daran?«
Er fand einen schwarzen Ledergürtel, der zur Hose passte. »Ach nichts.«
»Nein, im Ernst. Warum grinst du?«
Mit der Hose und dem Gürtel in der Hand drehte er sich zu ihr. »Du hast nur die eine Sache ausgeschlossen. Das bedeutet, dass ihr gemeinsam träumt. Ich meine nur, diese Eigenschaft hebt ungemein deine Liebenswürdigkeit.«
»Lehne dich nicht zu weit aus dem Fenster, Mensch, und zügle dein loses Mundwerk.« Sie ließ den magischen Strahl wieder über ihre Fingernägel sausen.
»Kann ich ein Foto von dir machen?«
»Wenn es dich glücklich macht.«
»Ich habe noch eine alte Sofortbildkamera.« Jaime wirbelte herum, kramte in den Schubfächern einer Kommode und kam mit der Kamera zurück. Er fotografierte sie und erwischte ihre Zungenspitze auf dem Bild und einen kecken Blick von unten herauf. Auf dem folgenden Bild zeigte sie ihm den Mittelfinger, dann grinste sie breit mit zusammengekniffenen Augen. Jaime setzte sich neben sie und hielt die Kamera vor sie. Auf diesem Bild war er nur halb zu sehen, das zweite war schon besser, nur dass sie wegen einer schnellen Bewegung unscharf war.
Sie alberten noch etwas herum, bis das Papier verbraucht war und die Fotos auf dem Teppich verteilt lagen. Jaime trat auf eine freie Stelle dazwischen und betrachtete seine Kunstwerke.
»Los, hopp, hopp. Anziehen.« Sie klatschte in die Hände.
Er stakste über die Bilder zum Schrank, stand wieder davor und sagte: »Ich glaube, ich habe nichts Passendes.«
»Herrgott«, sagte sie, stand genervt auf und wedelte mit ihrer Hand mit gespreizten Fingern. »Das wird ja nicht so schwer sein.«
»Ich habe nichts Passendes für eine Göttin. Was soll ich nur anziehen?« Er trat zur Seite und zeigte zum Schrank.
Trish bemalte die Nägel der anderen Hand, wedelte damit herum und kam zu ihm. Sie lugte in den Schrank und fing an, seine Shirts und Pullover herauszuziehen und achtlos auf den Teppich zu werfen. Die Hemden und Jeanshosen flogen als Nächstes heraus.
»Was soll das sein?«, schrie sie ihm ins Gesicht.
Er zuckte mit den Schultern. »Ich habe nichts anderes.«
Schweigend sahen sie sich gegenseitig an. Trish überlegte.
»Und wenn du mir etwas mit deinem Zauberfinger machst?«, fragte er und fuhr sich nervös durch die Haare.
Sie stemmte ihre Hände in die Hüfte. »Hältst du mich für eine abgefuckte Hexe?«
»Weiß nicht genau.«
»Du machst mich wahnsinnig mit deiner ruhigen Art. ›Weiß nicht, weiß nicht.‹« Sie zeigte ihm die Fingernägel. »Besser so?«
Die Comicaugen waren verschwunden und die spitz zulaufenden Nägel vorne abgerundet. Das matte Violett stand ihr gut, auch wenn die Farbschicht ungewöhnlich nach feinem Sandpapier aussah.
»Gefällt mir. Erzählst du mir etwas von deinem Freund in Minneapolis?«
»Er ist der letzte Sohn eines bedeutenden Gottes. Aber warum erzähle ich dir das überhaupt? Es geht dich nichts an.« Sie griff nach seinem Shirt und zog ihn dicht an sich heran. »Wir gehen einkaufen. Außerdem müssen wir noch üben, wie du ein Mädchen anbaggern kannst.«
»Oh nein. Bitte erspare mir das.«
Mit ihrem Zeigefinger fuchtelte sie hin und her. »Da kommst du leider nicht drum herum.«
»Warum können wir beide nicht zusammen üben?«
»Wir haben uns schon geküsst. Also funktioniert das nicht mehr.«
»Dann lass uns mit dem zweiten Schritt weitermachen.«
Sie kniff ihre Augen zusammen. »Das gibt es doch nicht. Der kleine Wurm geht aber ordentlich ran. Willst du mich gleich hier nehmen?«
»Ich weiß nicht.«
Sie nickte seitlich mit ihrem Kopf zur Couch. »Lass es uns hier treiben.«
»Nein«, sagte er energisch.
Sie ging ein Stück vor, lockte mit dem Finger und hauchte: »Na komm schon, Kleiner. Treiben wir es auf dem Fußboden.« Sie griff um seinen Hals, zog ihn zu sich heran und stellte sich auf die Zehenspitzen, damit sie mit ihren Lippen seine erreichen konnte. Kurz vor der Berührung hielt sie inne und säuselte verführerisch: »Küss mich, Mensch.«
Bei seiner Berührung schnellte sie zurück und drehte sich im Kreis. »Ha! Spare dir deine Liebe für Kate auf.«
»Was hast du eigentlich davon, wenn ich mit ihr zusammen bin?«
Flink legte sie einen Finger über seine Lippen. »Du musst nicht alles wissen.« Mit ausgebreiteten Armen tanzte sie zurück und riss eine Flasche vom Regal, die mit Sand gefüllt war. Sie bückte sich und fuhr mit den Fingern durch die ausgelaufenen Körnchen. »Was ist das?«
»Ich sammle Sand.«
»Nur Sand?«
»Ja, aus der ganzen Welt.« Er stellte die Flasche zu den anderen auf das Board zurück und zeigte auf ein Fläschchen mit fast schwarzem Sand. »Der hier ist aus Zypern.« Dann nahm er die Flasche daneben in die Hand und schüttelte sie leicht. »Dieser fast weiße Sand stammt aus Palm Beach. Ich habe bisher über zweihundert Sorten. Willst du sie mal sehen?«
»Nein! Warum sammelt jemand Sand?«
»Keine Ahnung. Vielleicht sind es die Erinnerungen an die Orte. Aber manche Proben sind von Freunden. Ich habe sogar Sand aus der Sahara und Neuseeland.«
Sie verzog den Mund, nahm ihm die Flasche aus der Hand, stellte sie ab und sagte: »Lass uns gehen.«
In der East Main Street, einer kleinen, etwas heruntergekommenen Einkaufsstraße in Bridgeport, zerrte Trish an seiner Schulter und drängte ihn in den Amgens Fashion Store. Im Geschäft war es vollgestellt, eng und recht dunkel. Es roch nach Reinigungsmitteln. Sie hielt ihm ein weißes Hemd mit kleinen Sternchen entgegen. »Wie wäre das?«
Jaime schüttelte den Kopf und zog ein T-Shirt mit großem Print heraus. Jetzt schüttelte sie den Kopf, sah zum eingeschalteten Fernseher über der Kasse und zeigte auf das Bild. »Genau so.«
Der junge Mann in der laufenden Fernsehserie trug einen sportlichen Anzug aus grobem Stoff, dunkelgrau und leicht kariert.
»Hey, wir nehmen das«, sagte sie zur jungen Verkäuferin, die verwundert ihrem Finger folgte. Die Szene hatte gewechselt und zeigte nun zwei Frauen, die sich über irgendetwas stritten.
»Ich glaube, hier finden wir nichts«, sagte Jaime. »Falls wir noch Zeit haben, machen wir einen Umweg über New York. Dort werden wir mit Sicherheit fündig.«
»Mach das Bild zurück«, funkelte Trish die Verkäuferin an.
»Sorry, das kommt nicht vom Band. Beschreiben Sie mir einfach, was Sie gesehen haben. Ich kenne die Serie recht gut.«
»Das muss doch zurückgehen.« Trish richtete ihre ausgebreitete Hand zum Fernseher.
Augenblicklich begann das Bild zu flackern, verzerrte sich und fiel blitzend in sich zusammen. Als aus der Seite Funken sprühten, sprang die Verkäuferin zurück. Gerade noch rechtzeitig, bevor die alte, schwere Röhre aus der Halterung rutschte und scheppernd vor der Kasse auf die Fliesen schlug.
Ein untersetzter Mann kam durch die Hintertür und schrie seine Verkäuferin an: »Das ziehe ich dir vom Lohn ab. Mach das weg und kümmere dich um die Kundschaft.« Fluchend nahm er einige Textilien von der Stange hinter dem Tresen und verteilte sie im Laden.
»Der Typ gefällt mir«, sagte Trish zu Jaime und ging breit lächelnd zu dem Mann. »Richtig so. Lassen Sie sich nicht alles gefallen und werfen Sie die unfähigen Leute raus.«
Boshaft blickte der Mann Trish an. Dann heiterte sich seine Miene sichtlich auf. »Du hast recht.« Er schrie zur Theke: »Du bist gefeuert. Verschwinde.«
»So ist es recht«, lobte ihn Trish. »Und jetzt feuerst du die anderen Tagediebe.«
Jaime erkannte den feinen Nebel, der von ihren Augen in seine wanderte.
Der Mann sagte: »Aber sie ist meine Frau. Ich kann sie nicht feuern.«
»Tue es und verlange gleich die Scheidung«, sagte Trish ruhig und er schrie in den Raum: »Ihr seid alle gefeuert. Yuna, ich lasse mich scheiden.«
Eine rundliche Frau mit hochgesteckten Haaren kam aus der Schuhabteilung zu ihm. Ihr stand der Zorn im Gesicht. »Hast du wieder getrunken?«
»Lass uns nach New York gehen, Mensch.« Trish schob Jaime aus dem Laden, während hinter ihnen ein heftiger Streit ausbrach.
»Ich bin heute richtig gut drauf. Das muss an dir liegen.«
»Das nennst du gut? Musste das unbedingt sein?«
Abrupt blieb sie stehen. »Was? Bist du überhaupt nicht stolz auf mich?«
»Nein, verflucht. Wir wollten nur einkaufen.«
»Habe ich etwa jemanden getötet? Na, habe ich das?«
»Nein. Du hast nur einigen Leuten das Leben schwer gemacht.« Jaime atmete tief durch. »Ich hoffe, du bist zufrieden.«
»Wenn du mich so fragst, bin ich das nicht. Ach, was soll´s, ich kann ja doch nicht widerstehen. Warte kurz.« Sie kehrte um und lief zurück in den Amgens Fashion Store.
Es dauerte nur wenige Sekunden, bis die Tür wieder aufging und Trish zu ihm zurückkam. »Jetzt bin ich zufrieden.«
»Hast du alle umgebracht?«
»Nein, ich habe niemandem etwas getan. Nur beim Haus habe ich ein wenig nachgeholfen.«
Krachend stürzte das Haus hinter ihnen ein. Eine Hälfte des Daches kippte auf die Straße, zwei Fahrzeuge rasten ineinander, dann barst die Vorderfront, das Ladenschild rutschte über den Gehweg und Glas verteilte sich darauf. Mit dem folgenden Schlag brach die restliche Hausfront nach innen, das Dach und das gesamte Haus stürzten krachend in sich zusammen und eine dichte Staubwolke nebelte die East Main Street ein.
Jaime hustete und beschleunigte seine Schritte. »Das hast du getan, weil das Mädchen die Fernsehsendung nicht zurückspulen konnte?«
»Vielleicht auch. Jedenfalls haben wir unsere Zeit in diesem Laden verschwendet. Sieh es mal positiv. Kein Mensch wird mehr seine Zeit dort vergeuden. Lass das unsere gute Tat für heute sein.«
Jaime verzog den Mund. »Dann will ich keine gute Tat mehr von dir sehen.«
»Das ist einfach. Ich könnte dich erblinden lassen. Damit wäre dein Wunsch leicht erfüllt.«
»Du weißt, wie ich das meine. Hör auf, die Leute umzubringen«, schrie Jaime.
»Ich habe schon mitbekommen, dass du nicht sonderlich auf Spaß stehst. Also gut. Siehst du das Mädchen in dem grünen Shirt? Sie dürfte in deinem Alter sein. Los, mach sie klar.« Trish zeigte auf sie.
»Ich soll jetzt ein Mädchen anbaggern? Dort sind gerade Menschen gestorben.«
»Blick nach vorne. Alles, was hinter dir liegt, kannst du ohnehin nicht mehr ändern.« Ihre Stimme wurde gefühllos. »Du gehst auf der Stelle zu ihr. Ich will Resultate.«
»Was soll ich denn sagen?«
»Rede über das zusammengebrochene Haus. Warne sie weiterzugehen oder so etwas und versuche ein Kompliment einzubinden. Los, auf geht es.«
»Mir ist jetzt nicht danach. Ich bin wütend und deprimiert.«
»Seit wann geht es um dein Befinden? Du musst üben und ich muss sehen, wie weit du bist.«
Schweren Herzens überquerte Jaime die Straße und lief langsam dem Mädchen entgegen. Kurz vor ihr blieb er stehen und sah das zierliche Mädchen mit den langen, glatten Haaren und der Brille an. Es war Joleen. Sie war vergangenes Jahr nach Bridgeport gezogen und hatte sich noch immer nicht so recht eingelebt. »Hallo, Joleen. Was machst du hier?«
Sie drängte sich an ihm vorbei. »Lass mich.«
»Warte kurz. Hey. Hast du von dieser Schülerzeitung gehört? Wollen wir da nicht mitmachen?«
Sie schnellte herum. »Was willst du von mir?«
»Diese Sache mit deiner Tasche und den Jungs tut mir wirklich leid. Ich hätte dir helfen müssen.«
»Vier gegen einen und jede Menge Gaffer. Niemand von euch hat den Anstand besessen, mir zu helfen. Niemand! Und jetzt verschwinde. Ich will nichts mit dir zu tun haben.«
»Warte, Joleen. Heute weiß ich, dass es ein Fehler war. Ich mache es wieder gut. Gehen wir ein Eis essen.«
Diese Worte schienen sie zu besänftigen. »Also gut. Und wir gehen zur Schülerzeitung, wo du alle Namen von denen nennst, die mich und andere verprügelt haben.«
Jaime senkte seinen Kopf. »Ja«, sagte er leise und Joleen kam zurück. »Bei Kimberly haben sie das neue Kumquateis. Das soll richtig gut sein.«
Trish schob sie zur Seite und küsste Jaime auf den Mund, legte ihren Arm auf seine Schulter und zog ihn weg von ihr.
Er stieß sie von sich und schrie: »Was soll das?«
»Gut gemacht. Nur leider kanntest du dieses Mädchen bereits.«
»Das ist nicht fair«, fuhr er sie an. »Kannst du nicht ein bisschen sensibler sein?«
Trish wandte sich an Joleen: »Verschwinde, Lusche. Du bist so hässlich, dass du nie einen Mann abbekommen wirst.«
Eine schallende Ohrfeige traf Trish im Gesicht. Jaime hatte zu heftig zugeschlagen, aber seine Wut brannte lichterloh. Trish griff seinen Handknöchel und drückte fest zu. Feiner Nebel breitete sich davon aus. Joleen ging dazwischen und wurde heftig von Trish zurückgestoßen, taumelte und schlug gegen die Hauswand.
Schmerzerfüllt verzog Jaime das Gesicht. »Töte mich, du Bestie. Na los, mach schon.«
Trish ließ augenblicklich sein Handgelenk los, der Nebel verschwand und ihre Augen wurden klar.
»Heute lasse ich dir das noch einmal durchgehen«, sagte sie ruhig, aber besonders ernst. »Wage es nicht noch einmal, dich gegen mich zu stellen.«
Jaime zeigte auf Joleen, die sich gerade erhob. »Was soll sie jetzt denken? Ich will nicht mit den Gefühlen der Leute spielen und ich werde dich nicht begleiten und mit ansehen, wie du Menschen tötest. Das mache ich nicht länger mit.«
»Du machst dir Gedanken um diese Göre?«
»Ja, mache ich. Um sie und um alle anderen. Das geht so nicht weiter.«
»Dann muss ich mich leider von dir trennen.«
»Nur zu. Aber dafür hast du nicht genug Mumm. Du brauchst mich.«
Joleen klopfte sich die Kleidung ab, schrie »Eichhörnchenpimmel«, und lief zügig die East Main Street weiter.
»Du kennst sie nicht und weißt nicht, dass sie keinen einzigen Freund hat, seit sie in der Stadt ist. Sie ist ein anständiges Mädchen und hat so etwas nicht verdient.«
»Beruhige dich, Mensch. Konzentrieren wir uns auf die Aufgabe. Mir gefällt es auch nicht, wenn ich mich permanent zurückhalten muss.«
»Du machst doch ohnehin, was du willst, und niemand wird dich aufhalten. Ich sehe keinen Grund zum Jammern.«
»Es ist, als ob ich ausgehungert vor einem prächtigen Buffet mit den köstlichsten Speisen stehe und nichts davon essen darf.« Sie strich sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. »Überall lauert die Verführung, doch ich widerstehe. Ein wenig mehr Dank wäre angebracht. Aber nein. Der Herr ist unzufrieden und beschwert sich auch noch darüber.«
»Ach ja. Jetzt erzähle mir auch noch, dass die Leute in der Lounge alle sterben wollten und du sie voller Gnade erlöst hast und das Haus dort sowieso abgerissen werden sollte, während die Bewohner noch drinnen sind. Du bist ja so barmherzig.«
»Ja, ich war gnädig«, schrie sie. »Oder habe ich ihre Körper umgekrempelt und sie bei lebendigem Leibe den Qualen des Tartaros ausgesetzt?«
Sie ballte ihre Fäuste und stampfte heftig auf. Ein kleines Beben ließ Staub und feine Körnchen von den umliegenden Fassaden bröckeln, ein alter Ford kam von der Straße ab, nahm zwei Werbeaufsteller mit und knallte gegen die Eingangstür einer Reinigungsfirma. Der Wagen hupte dauerhaft.
Trish entspannte sich, lächelte gespielt schüchtern, legte ihre Hände auf den Rücken und sagte: »Entschuldigung.« Sie reckte eine Hand zur Seite, in die unmittelbar darauf ein braungelber Waldsänger stürzte, den sie flink hinter ihrem Rücken versteckte.
»Dir ist nicht mehr zu helfen. Ich habe die Schnauze voll. Vergiss unsere Sache. Ich bin raus.« Er drehte sich um und ging mit großen Schritten Richtung Boston Avenue.
»Warte. Ich verspreche dir, nichts mehr anzustellen.«
Er lief weiter.
»Ehrlich«, rief sie ihm nach. »Ich muss nicht unbedingt vom Buffet essen. Bist du jetzt zufrieden?«
Er blieb stehen und sah sie prüfend an. »Ja, bin ich.« Sein Blick war finster. »Lass uns die Sache so schnell wie möglich hinter uns bringen.«