Was würdest du dir wünschen, wenn du einen Wunsch frei hast?
Unausweichlich rast ein gigantischer Planet auf die Erde zu. Die Prognosen für das Fortbestehen der Erde sind verschwindend gering. Während auf der Erde das Chaos ausbricht, die Wirtschaft und jegliche gesellschaftliche Strukturen zum Erliegen kommen, versuchen die Menschen auf den unbekannten Planeten zu fliehen. Jedoch reichen die Kapazitäten der Shuttles nur für eine kleine Elite. Ein heißer Kampf um die Flugtickets entbrennt weltweit, auch wenn niemand weiß, was die Menschheit auf dem fremden Planeten erwartet.
Acht Einzelschicksale in acht Geschichten, die miteinander verwoben sind, vor, während und nach der größten Katastrophe der Menschheit.
Endzeit / Science Fiction
Taschenbuch, ca 492 Seiten
Taschenbuch
eBook
Ein Endzeit-Thriller, der gleichermaßen hart und zum Verlieben schön ist.
In einer Geschichte, die so zeitnah und realistisch wirkt, dass sie durchaus im Bereich des Vorstellbaren liegt, zeigt sich, wie rücksichtslos die Menschheit im Überlebenskampf sein kann – und wie viel Hoffnung dennoch in ihr steckt. Raffiniert verwobene Science-Fiction-Elemente bereichern den Roman, ohne jemals die Nähe zum echten Leben zu verlieren.
Leserinnen und Leser sind sich einig:
„Unglaublich gut geschrieben – vielen Dank für die tollen Lesestunden.“
„Acht Handlungsstränge, die glaubhaft und auf wundervolle Art miteinander verwoben werden – großes Kino!“
„Emotional, authentisch, packend – jede Figur bleibt im Gedächtnis.“
„Besonders Luis habe ich geliebt.“
„Occasion“ ist mehr als ein Thriller über den Untergang der Menschheit – es ist eine Geschichte über Mut, Menschlichkeit und die Hoffnung auf wahre Liebe. Eine Geschichte, die den Blick schärft für das Wertvollste, das wir haben: unsere Erde. Ein Buch, das unter die Haut geht, fesselt und lange nachhallt.
Neun Einzelschicksale und neun Geschichten, die miteinander verwoben sind.
1) Jeff Terrell ist frisch verheiratet. Durch einen tragischen Unfall verlor er seine Frau. Jetzt macht er sich mit seinem Freund auf den Weg zur Westküste, um einen Platz im Shuttle zu bekommen. Ihre Reise verändert ihr Leben.
2) Anthony Salt kann ein Flugticket ergattern und flieht auf Occasion. Was er auf der neuen Welt erlebt, hätte er sich nie träumen lassen. Dort findet er das Wertvollste, was ein Mensch finden kann.
3) Ray, der Moderator von Radio UGF, bleibt seinen Hörern bis zum bitteren Ende treu. Am Ende besucht ihn der Präsident, um seine letzte Rede in seinem Studio abzuhalten.
4) Das alte Ehepaar Abby und Finley McGowan trennt sich noch vor der Katastrophe. Doch die Liebe führt sie wieder zusammen.
5) Luise Luengo hat nur die Chance, als Mann verkleidet einen Platz im Shuttle zu erhalten. Sie kommt hinter das Geheimnis von Occasion.
6) Der Gouverneur Pernell Franklin stirbt bei dem Kampf um sein Flugticket. Er hinterlässt seine Frau Meira und die kleine Bo. Auch wenn seiner Familie nicht mehr die Flucht von der Erde gelingt, beschützt sie sein Geist.
7) Katy Rodríguez wird brutal von ihrem Exmann zusammengeschlagen und kann den Flug nicht mehr antreten. In den letzten Tagen auf der Erde verliebt sie sich in den viel zu jungen Jeff.
8) Doktor Professor Jayson Grant ist der Leiter der zuständigen Wissenschaftsabteilung für die Erkundung des fremden Planeten. Er leitet später die neu gegründete Zivilisation.
9) Jim Crowford arbeitet mit dem jungen, technikbegeisterten Eddie und der sympathischen Vivian in einer Wetterstation zusammen und findet einen Zusammenhang zwischen den Pyramiden und Occasion heraus.
„Occasion“ ist ein fesselnder Endzeit-Thriller, der packende Schicksale mit visionären Science-Fiction-Elementen verbindet – eine Geschichte über Verlust, Mut und Hoffnung, die zeigt, wie zerbrechlich die Menschheit ist und wie stark die Liebe sein kann.
Endzeit, ca. 492 Seiten
Taschenbuch ISBN 9-783-740769-086 € 16.90
eBook € 8.99
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Dieses Buch gibt es außerdem in zwei Bänden als eBook mit jeder Menge Bonusmaterial.
(Band 1 enthält den kompletten 1. Akt aus OCCASION - Die zweite Welt) incl.
der Kurzgeschichte „Lennart Beck - Experiment seines Lebens“ und das entfallene Kapitel aus dem Hauptbuch
ca. 324 Seiten / derzeit ausschließlich erhältlich als eBook bei Amazon.
(Band 2 enthält den kompletten 2. Akt aus OCCASION - Die zweite Welt) incl. Leseprobe Briefe an Abby.
ca. 348 Seiten / derzeit ausschließlich erhältlich als eBook bei Amazon.
1 Unglück
Wie in den letzten Wochen zuvor hatte Jil auch an diesem Morgen den frisch zubereiteten Gurkensmoothie seinem Mann Jeff zu den Toastbroten auf den Tisch gestellt. Das Radio spielte die Originalmusik von „What A Wonderful World“ aus dem Jahr 1967.
Der neue Tag in Ogden hatte begonnen und schien einer der gewöhnlichen und durchaus geschätzten zu werden mit seiner Arbeit, den üblichen Einkäufen und einem Abend auf dem kuschligen Sofa mit Jil.
Sie war bereits aus dem Haus. Jeff trank einen winzigen Schluck von dem grünen Zeug, stellte das Glas zurück und wischte sich über die Lippen. Das entgiftet den Körper und bringt Energie, hatte sie immer gesagt, und Jeff grinste bei dieser Vorstellung.
„Ich liebe dich auch“, sagte er, hielt das Glas hoch, als ob er ihr zuprosten wollte, und trank tapfer den Rest aus.
Ohne Jil wirkte die Wohnung leblos.
Gedankenverloren spielte er mit seinem Würfel, drehte ihn in der Hand und betrachtete die blanke Seite, auf der sich üblicherweise der Punkt für die Zahl Eins befand. Er polierte diese Seite mit dem Finger und schob ihn anschließend in seine Hosentasche zurück.
Das Schokoladensandwich schmeckte belanglos und der Kaffee war viel zu heiß. Da er noch etwas Zeit hatte, zog er sich die „Morgenpost“ heran und schlug sie auf. Auf der Titelseite stand in fetten Lettern über allem: „Occasion knapp auf Kollisionskurs“. Daneben war eine Großaufnahme vom Planeten abgebildet, auf der Oberflächenstrukturen zu erkennen waren. Die dunklen Flecken hätten Wälder sein können, die hellen waren höchstwahrscheinlich Wüstenflächen. So beschrieb der Redakteur jedenfalls das Bild.
Jeff begann, den Artikel zu lesen.
Wie die NASA in enger Zusammenarbeit mit führenden Astronomen bekanntgab, führt die Flugbahn des Planeten Occasion in einem Abstand von geschätzten 125000 Meilen an der Erde vorbei. Die Ermittlungen der absoluten Masse, der Eigenrotation und Gravitationskräfte laufen auf Hochtouren. Damit lassen sich exakte Angaben über die Auswirkungen auf die Erde berechnen. Zu diesem Zeitpunkt kann davon ausgegangen werden, dass durch auftretende Massekräfte weite Teile der Erdoberfläche enormen Oberflächenspannungen ausgesetzt werden. In deren Folge sind anhaltende Klimaveränderungen zu erwarten. Präsident Trevis und der Senat raten den Bürgern zur Prävention sowie zur umgehenden Registrierung für einen regionalen Bunker. Es werde jedem Bürger empfohlen, sich mit Trinkwasser und Essensrationen für einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten zu bevorraten.
Jeff sah sich die Liste mit den Bunkern an. Sie gaben die Standorte, die Kosten und die Kapazität an. In Utah gab es vier Bunker und die umliegenden waren in Logan und Salt Lake City. Er musste sich darum kümmern.
Bei einem Schluck Kaffee sah er aus dem Fenster. Tiefhängende, dunkle Wolken zogen rasch vorüber. Immer wieder schickte die Sonne ein paar goldene, wärmende Strahlen hindurch und Occasion ragte als handballgroßer Planet hinter den Dächern der gegenüberliegenden Häuserzeile hervor.
So deutlich hatten sie es bisher nicht gesagt. Ab jetzt würden die Leute Panikeinkäufe tätigen, die Bunker stürmen und Versicherungen und Eigentum verkaufen.
Also war es jetzt soweit?
Geistesabwesend schob er den Löffel in die Zuckerdose und ließ die Körnchen in seine Tasse rieseln.
Das musste er heute mit Jil besprechen. Sie brauchten jede Menge Geld für die Bunker und die Banken vergaben schon monatelang keine Kredite mehr. Für einen von ihnen würden ihre Reserven ausreichen. Aber darüber hinaus wurde es eng.
Natürlich hatten sie oft über die Sache mit dem Ende der Welt geredet, genau wie wahrscheinlich jeder andere Mensch auch, doch nun wurde Wirklichkeit, was maßgeblich seine Jugend beeinflusst hatte. Im Grunde war er mit dem möglichen Szenario eines frühen Endes aufgewachsen. Deswegen bereitete ihm diese Tagesmeldung nicht allzu viele Sorgen.
Damals war er dreizehn gewesen, als sie das erste Mal von Occasion berichtet hatten. In den folgenden Monaten und Jahren häuften sich wilde Theorien zum Ende der Welt. Die Zeitungen berichteten über den Mayakalender mit seiner sechsten Prophezeiung, in der ein Komet die Existenz des menschlichen Lebens auf der Erde bedrohen könnte. Occasion wurde damit in Zusammenhang gebracht.
Im Laufe der Jahre hatten sich diverse Sekten und Glaubensanhänger gebildet. Sie alle sagten den Untergang der Welt voraus. Von den vielen Meinungen, Wissenschaftlern, Pseudogelehrten und Spinnern schien bis heute nichts greifbar zu sein. Doch Travis, der Präsident, empfahl den Bürgern, sich dieser Tage einen Bunker zu suchen. Außerdem stand Occasion dort oben am Himmel.
Jeff erinnerte sich an die Worte seiner Mom, wie sie ihm gesagt hatte, dass niemand in dem Glauben an das Ende der Menschheit und dem Wissen über den eigenen Tod glücklich aufwachsen könne. Doch sie hatte es geschafft. Jeff konnte sich nicht beklagen. Nur wusste er bis heute nicht, ob sie selbst daran geglaubt oder ihn nur hatte beschützen wollen.
Egal, was auf ihn und die Menschheit zukommen würde, es gab offensichtlich nur zwei Möglichkeiten, diesen Wahnsinn zu überstehen. Zum einen war das ein Platz im Bunker, zum anderen ein Ticket, mit dem er sich auf die Reise in eine neue, unbekannte Welt aufmachen konnte. Für beides standen die Chancen nicht sonderlich gut.
Er nahm das Handy und suchte im Telefonverzeichnis nach Jills Nummer, als es zu vibrieren begann.
Den Anruf nahm er direkt entgegen, stellte den Lautsprecher an und legte das Handy ab.
„Moin“, meldete sich Jeff lax und nahm sich mit beiden Händen das prall belegte Putensandwich mit Pesto und biss kräftig ab.
„Hey Anthony. Hast du das gerade im Radio gehört, Alter?“
„Was?“, fragte er mit vollem Mund.
„Die haben gesagt, dass wir noch neun Wochen haben.“
„Hab´s gerade in der Zeitung gelesen.“ Er kaute und fügte hinzu: „Wo steckst du?“
„Bin mit Big Michael in der Garage. Wir haben einen neuen Rhythmus ausprobiert und sollten uns unbedingt treffen.“
„Ich weiß nicht, ob ich kommen kann. Hab viel zu tun. Ich muss uns eine Unterkunft für das große Finale besorgen.“
„Das ist mir zu teuer. Mein Onkel hat einen Erdbunker im Garten. Da könnte ich unterkommen. Wenn du magst, könnt ihr beide meinen Platz haben. Ihr müsst nur genug Dosenfutter mitbringen.“ Anthony lachte durchs Telefon.
„Wieso? Was ist mit dir?“
„Ich werde versuchen, an ein Ticket zu kommen. Dann verschwinde ich von der blöden Erde, bevor alles den Bach runtergeht, und sonne mich am lila Strand bei den Aliens.“
Jeff schmunzelte. „Idiot. Da gibt es überhaupt keine Aliens. Du wirst vor Einsamkeit sterben. Außerdem kommst du niemals an ein Ticket ran.“
„Ich versuche es zumindest, Alter. Sag mal, hast du die Story von Professor Crowford gehört? Der glaubt, dass der Planet alle siebentausend Jahre hier vorbeispaziert kommt und jedes Mal das komplette Leben auslöscht.“ Anthony klang durchaus ernsthaft.
„Nein, ist mir neu. Es gibt unglaublich viel Geschwätz darüber. Du solltest nicht jeden Mist glauben. Wer ist dieser Crowford?“ Jeff biss wieder ab.
„Keine Ahnung, so ein alternativer Typ. Er wurde vor ein paar Jahren aus der Regierung geschmissen, weil er die Leute warnen wollte. Damals wusste niemand, dass Occasion fast kollidieren wird, und er hat es wohl recht genau überschlagen.“
„Ach ja“, sagte Jeff, kaute und schluckte. „Den kenne ich. Damals schien er mir seriös zu sein. Na, was soll´s. In siebentausend Jahren bin ich eh nicht mehr hier. Ich wäre schon froh, wenn ich das kommende Jahr erleben dürfte.“
„Das wirst du, mein Freund. Aber falls der Professor recht hat, will ich nicht unbedingt dabei sein.“
Jeff blickte auf die Anzeige in der Zeitung, die den gesamten Fußbereich der Titelseite einnahm. Jemand suchte ein Ticket und bot es gegen sein nobel eingerichtetes Luxusappartement und seinen nagelneuen Lexus an. Der Typ schien echt viel Geld zu haben. Das zeigte aber auch, dass in kurzer Zeit Geld nichts mehr Wert sein würde.
„Weißt du, Anthony, die Tickets sind den Superreichen, Ärzten und hohen Politikern vorbehalten. Und wenn du an dem Losverfahren teilnehmen willst, hast du keine Chance. Dagegen ist Lottospielen eine todsichere Angelegenheit.“
„Nicht so skeptisch, mein Freund.“
„Du machst das schon. Ich rufe dich später zurück, okay?“, sagte Jeff, wischte sich den schmierigen Zeigefinger an der Hose ab und machte sich bereit zum Auflegen.
„Alles klar. Aber das Ticket hole ich mir. Du wirst schon sehen. Schließlich geht die Erde ja nur einmal unter. Bis später.“
Jeff legte auf und wählte die Nummer seiner Frau.
Ein alter Ford Taunus raste mit überhöhter Geschwindigkeit auf den Washington Boulevard zu. Jil stand am Überweg und wartete auf grünes Licht. An diesem Tag trug sie ihr neues hellblaues Kleid. Den Aktenkoffer hatte sie unter den Arm geklemmt und die blonden Haare zu einem Zopf gebunden. Sie strich sich eine Falte aus ihrer Strumpfhose, sah hoch und die Ampel umschalten. Zügig lief sie los.
Ihr Smartphone klingelte.
Ungebremst raste der Ford Taunus auf die Kreuzung zu.
Beinahe gelangweilt strich Jeff über die Seiten seiner Gitarre. Der gleichmäßige Rufton ertönte aus dem Fon und er blickte zum Fenster hinaus. Neben Occasion stand der Mond. Das seltsame Bild inspirierte ihn zu einem neuen Song und die ersten Töne formten sich in seinem Geist. Dann nahm er die Gitarre auf den Schoß und spielte eine kleine Melodie. Im Telefon klingelte es weiter.
Spontan sang er zu den Noten: „Jil, meine kleine Rose mit den strahlenden Augen und dem ehrlichen Mund des Frühlings.“ Dann fuhr er hart über alle Saiten und verwarf den Einfall. „So ein Bullshit.“
Doch die Melodie ließ ihn nicht los und er spielte den Akkord schneller und säuselte die Worte, die ihm dazu einfielen:
Niemals wirst du Glück finden,
bis zum Ende deiner Reise,
die vom Tun überschattet.
Niemals wirst du anhalten,
wenn die Augen verschlossen
und der Atem erstickt.
Halte ein, breite die Arme aus und sieh,
erkenne das Glück in der Liebe.
Sie ist alles.
Dein Herz, deine Wünsche,
die Erde und das All.
Sie ist alles.
Das Glück bist du allein.
Er legte die Gitarre zur Seite und nahm einen weiteren Löffel Zucker für den Kaffee.
Wieso ging Jil nicht ran? Der Rufton piepte unablässig aus dem kleinen Lautsprecher.
Der Taunus erfasste Jil am Oberschenkel und schleuderte sie in die Luft, wie eine Puppe aus Stroh. Geräuschvoll knickte die Motorhaube ein, die Frontscheibe sprang und zeichnete ein kleines Loch, um das unzählig viele Rauten entstanden, wie eine kunstvolle Blüte auf Glas.
Fast zwanzig Meter weiter schlug Jil auf den harten Asphalt. Ein dumpfer, kurzer Schlag folgte. Reifen quietschten und Autos stellten sich quer. Dicht neben ihr rasten ein Abschleppfahrzeug und ein Kleinwagen frontal ineinander. Deren Frontscheiben zerbarsten und trieben Kleinteile wie Geschosse durch die Luft.
Ein Vogelschwarm jagte davon und tanzte in luftiger Höhe eine perfekte Choreografie. Dazu spielte ein Autoradio den Song „What Is Love“.
Mit quietschenden Reifen brauste der Taunus um die Kurve und verschwand in einer Seitenstraße.
Der Anblick ihres verwegenen Lächelns auf dem Display machte Jeff glücklich. Er nahm das Smartphone in die Hand und betrachtete das Bild genauer. Er hatte es im Frühjahr im Diner selbst geschossen, als sie beide herumgealbert hatten und er gegen sein Bierglas gestoßen war. Sie hatte alles auf die Hose bekommen.
Jeff schmunzelte bei dieser Erinnerung. Sie hatte es ihm nicht Mal übelgenommen. Jil konnte jeder Situation etwas Gutes entlocken.
Warum, um alles in der Welt, ging sie nicht ans Telefon?
Mit den Gedanken bei ihr schaufelte Jeff wieder Zucker in den Kaffee. Dann zuckte er zusammen und zog seine Hand blitzschnell zurück.
Direkt neben ihm stand eine junge Frau mit langen schwarzen Haaren, die seine Hand berührt hatte. Vor Entsetzen schrie Jeff auf. Wie kam diese Frau in seine Wohnung?
Nur ein Wimpernschlag später war sie verschwunden.
Er war verwirrt, sprang auf, sah neben den Schrank und lief zur Küchentür, suchte im Flur und stellte sich still hin, um zu lauschen. Nur das Radio dudelte vor sich hin. Hier war niemand, außer ihm selbst.
Er hatte sich das Mädchen nur eingebildet. Dabei hätte er schwören können, dass sie leibhaftig hier gewesen war, eine Frau, die er definitiv nie zuvor gesehen hatte. Mit dem kleinen Löffel in der Hand ging er zum Esstisch zurück und ihm wurde die halb leere Zuckerdose bewusst. So viel Zucker brauchte er nicht in seinem Kaffee. Die schwarzhaarige Frau hatte ihn daran gehindert, noch mehr Zucker hineinzulöffeln. „So ein Unsinn“, strafte er sich selbst für die wirre Einbildung. Es gab keine Geister oder irgendwelche übernatürlichen Dinge.
Zögerlich schob er den Löffel in die Zuckerdose zurück und stieß inmitten des Zuckers auf etwas Hartes. Neugierig sah er genauer hin und ließ den Löffel durch die weißen Kristalle gleiten. Ein goldener Ring kam zum Vorschein.
Interessiert nahm er ihn heraus, pustete die Körnchen ab und drehte ihn gegen das Licht. Im Inneren war eine Gravur eingearbeitet. Dort stand in geschwungenen Buchstaben: In ewiger Liebe, Abby & Finley.
Dahinter stand ein Datum, das knapp zwei Jahre zurücklag.
Plötzlich schmeckte Jeff einen eigenartigen Geschmack auf der Zunge und stechende Kopfschmerzen pulsierten über der rechten Schläfe. Er griff sich an die Stirn und ließ sich auf den Stuhl zurückfallen. Der Geschmack von Blut wurde stärker. Verstört fiel sein Blick auf das Telefon. Der Rufton war zwischenzeitlich unterbrochen worden. Die Leitung schwieg.
Es ist etwas Schlimmes passiert, schoss es ihm in den Sinn und er sprang nervös auf und blickte durch das Fenster zur Straße hinunter, dann nach oben zu dem fremden Planeten. Wieso antwortete seine wunderschöne Frau nicht? Wo war sie?
Er wählte erneut.
Sein Magen rebellierte mit unangenehmem Poltern.
„Los, geh schon ran“, fieberte er, zappelte ungeduldig, dribbelte mit seinem rechten Bein und sah wieder auf ihr Porträt. Warum hatte er so ein unruhiges Gefühl und warum donnerte sein Puls gegen die Halsschlagader? Angst wurde präsent und er wusste nicht, wo sie herkam. Der Geschmack von Blut wurde unerträglich. Er nahm einen Schluck Kaffee.
Der Song „What Is Love“ wurde ausgeblendet und der Radiomoderator verkündete eine Eilmeldung von einem Unfall auf dem Washington Boulevard und fuhr mit weiteren Schlagzeilen fort: „Derzeit sind sämtliche Flughäfen des Landes überlastet. Eine bisher ungekannte Reisewelle an die Ostküste und nach Europa hat heute Morgen eingesetzt. Die Polizei geht in den kommenden Stunden von zähflüssigem Verkehr auf allen Bundes- und Nebenstraßen nach New Jersey und North Carolina aus. Wie das Weiße Haus mitteilt, werden Hawaii und die Westküste Amerikas am härtesten von der Katastrophe betroffen sein. Dennoch wird dringend empfohlen, Ruhe zu bewahren und rechtzeitig die Unterkunft in einem geeigneten Bunker aufzusuchen.“
Jeff vernahm nur ein paar Auszüge davon.
Übergangslos spielten sie den nächsten Song.
Sein Herz verkrampfte und die Angst ließ seine Halsschlagader heraustreten.
Egal, was mit dieser Welt geschehen würde, er musste zu Jil, schnellte hoch, schnappte sich seine Weste und das Smartphone und verließ die Wohnung.
2 Baseball
Unerbittlich raste Occasion auf die Erde zu. Zu dieser Zeit konnte die Tatsache niemand mehr leugnen, dass der Menschheit etwas Gewaltiges bevorstand.
Jeder redete darüber. Zu jeder Gelegenheit und überall. Banale Dinge wurden hochgespielt und einst wichtige Ereignisse verloren an Bedeutung.
Der Tod eilte dem Planeten mehrere Wochen voraus. Kurz nach der ersten Zeitungsmeldung über die konkrete Ankunft attackierten hunderte Gesteinsbrocken die Erde. Selbst wenn nur wenige davon die Oberfläche erreichten, richteten sie teilweise enorme Schäden an. Ein Komet schlug in Iowa ein, ein anderer traf den Hafen von Portland. Weitere Einschläge wurden zeitgleich aus Kanada, Kolumbien und Guyana gemeldet.
An einem dieser Tage, an dem die Erdbeben stärker und häufiger auftraten, verließ Jeff das erste Mal seit dem Tod seiner Frau wieder das Haus. Seither hatte er sich verändert. Das betraf die nachlässige Kleidung, die wilden Bartstoppeln und struppigen Haare und ebenso seine Einstellung zum Leben. Überschattet von allgegenwärtiger Belanglosigkeit hatte er sich selbst verloren, als wäre die Welt aus Glas geworden oder, seit diesem Tag, nicht mehr für ihn gedacht. Die Worte hatte er in ein Gedankenkarussell gesperrt und er ignorierte Anrufe und sämtliche aufmunternden Gesten seiner Freunde. Die schweigsame Zeit trieb im dichten Nebel vorüber und machte selbst den Untergang der Welt belanglos, wie ein faulender Apfel im Gras.
Am Rande des vertrauten Baseballfeldes setzte er sich auf eine mit Graffitis überzogene Bank. Es war der Ort, an dem er sich fast täglich mit seinen Jungs getroffen hatte, bevor dieses ganze Chaos über die Welt hereingebrochen war.
Hinter der Bank prägte ein grandioser Burning Bush das Bild des Sportparks, der jeden Herbst stolz seine feurigroten Blätter entwickelte und dem Park im Feuerwerk der Farben seine Eleganz verlieh. Am Ende dieses Monats würde niemand mehr hier sein, der sein Schauspiel wahrnehmen konnte. Jedenfalls prophezeiten sämtliche Nachrichten auf allen Kanälen das Ende der Welt an den letzten beiden Junitagen oder spätestens Anfang August. Je näher dieser Zeitraum rückte, desto exakter wurden die Angaben.
Bereits zum aktuellen Zeitpunkt hatte sich das normale Leben stark gewandelt.
Im Zuge dieses Wandels war die überwiegende Zahl der Zeitungen längst eingestellt worden. Nur ein Dutzend Fernseh- und Radiosender berichteten tapfer, auch wenn die Hälfte davon durch die Beben und Stromausfälle immer wieder ausfielen.
Jeff hatte auf dem Weg eine Tageszeitung erstanden, die er aufschlug und deren düstere Schlagzeilen überflog.
Nur wenige Leute waren bereit, ihrer Arbeit nachzugehen, und seit einer Woche fuhr auch in Ogden kein Regionalbus mehr. Ein paar Tage zuvor hatten sie den Fernverkehr in Utah komplett eingestellt. Nur wenige Tankstellen verkauften Benzin, sodass sich der Verkehr in den letzten Wochen mindestens halbiert hatte.
Im Gegensatz zu anderen Gemeinden funktionierte, mit kurzen Unterbrechungen, zwar die Strom- und Wasserversorgung recht ordentlich, aber niemand konnte sagen, wie lange es so bleiben sollte. Anfangs hatten die Menschen Hamsterkäufe getätigt. In den letzten Tagen war fast niemand mehr bereit, Geld für Waren anzunehmen. Teils verrückte Tauschgeschäfte traten in den Vordergrund, wobei die Relation der Wertigkeit von allem Bekannten abwich. Übergriffe, Gewalttaten und geplünderte Geschäfte machten den größten Teil der Zeitungsmeldungen aus. Fensterscheiben gingen zu Bruch und erste Großbrände waren in Denver und Sacramento ausgebrochen. Schwere Straßenschlachten hatten in Las Vegas über zweihundert Todesopfer gefordert. Besonders hart traf das neue Chaos die Großstädte wie Seattle, Denver und nahezu die gesamte Ostküste mit zerstörten Innenstädten. Plündernde Banden zogen mit Mord- und Totschlag durch die Lande.
In Ogden wurden die Brände eifrig gelöscht, auch wenn wegen der völligen Überlastung der Sicherheitskräfte die Hilfe deutlich später eintraf als unter normalen Bedingungen. Dieses Glück hatten bei Weitem nicht alle Städte in Utah und schon gar nicht im gesamten Land. Die Polizei und das Militär machten sich auf den Straßen in kleineren Städten rar, womit letztlich die Verbrechen deutlich zunahmen.
So schlimm der Zustand bis zu diesem Zeitpunkt war, ging es in Ogden relativ friedlich zu.
Die Morgensonne hatte den Tau der Nacht nicht gänzlich weggeleckt.
Gähnend blinzelte Jeff im Gegenlicht. Über seiner Sporttasche hing ein schwarzes Jackett, das er zur Seite schob, um die Zeitung zu verstauen und seinen Frappuccino herauszuholen.
Eine fröhliche und schief gepfiffene Melodie konnte nur von Anthony stammen. Jeff erkannte ihn hinter dem Zaun des Parks mit seiner ausgeleierten Jogginghose und einem Basketball in der Hand. Er drehte sich zu einem Mädchen mit Minirock um und rief ihr anzüglich nach: „Hey, Kleine! Lass uns etwas machen, das sich auf ,stricken‘ reimt.“
Es war exakt die kleine Schwarzhaarige, die er in seiner Einbildung in der Wohnung am Tag von Jils Tod gesehen hatte. Sie ignorierte Anthony, blinzelte Jeff zu, nickte ihm zu und eilte weiter.
Ihr Blick und ihre generelle Existenz rüttelten ihn endgültig wach. Er schnellte hoch, wobei die Sporttasche hinunterfiel, und er lief rasch auf den Zaun zu. Als er bei Anthony ankam, war das Mädchen nicht mehr zu sehen.
„Hey, Alter. Hast du die Kleine gesehen? Die hatte ein heißes Fahrgestell“, begrüßte ihn Anthony, betrat den Park durch die offenstehende Gittertür und umarmte Jeff flüchtig von der Seite. „Wenn ich gewusst hätte, dass du heute auftauchst, hätte ich dir deinen grünen Smoothie mitgebracht.“ Er grinste.
„Lass den Scheiß. Das war nie mein Getränk. Du weißt das.“
„Verzeih mir.“ Er grinste schelmisch. „Jedenfalls ist es schön, dich zu sehen. Wir haben dich vermisst.“
„Kennst du die Kleine?“ Mit den Händen am Maschendraht sah Jeff in ihre Richtung. Aber sie war weg.
Anthony schüttelte den Kopf. „Nö, aber ich hätte sie gerne mal kennengelernt.“
„Wenn ich nur wüsste, woher ich sie kenne“, flunkerte Jeff.
„Nun sag schon, wie geht es dir?“ Anthony klopfte ihm kameradschaftlich auf die Schulter und begann, mit dem Ball zu dribbeln.
„Geht so. In den letzten Wochen scheint sich viel verändert zu haben.“ Jeffs Stimme war schwach, sein Kopf gesenkt.
„Klar. Die Leute drehen völlig durch. Lass uns diesen ganzen Mist ignorieren und eine Runde spielen. Was hältst du davon? Los, ganz wie früher.“ Anthony hielt den Ball mit beiden Händen und machte eine Geste, ihn Jeff zuzuwerfen.
„Ach, ich weiß nicht.“
„Kopf hoch, Kumpel.“
„Weißt du, was du mir damals gesagt hast?“ Jeff sah ihm in die Augen. Anthony zuckte mit den Schultern und erwiderte: „Hey, wenn ich etwas Blödes gesagt habe, dann tut es mir leid.“
„Nein, das war nicht blöd. Du hast gesagt, dass die Welt ohne Jil nicht untergehen wird. Ich denke, diesmal hast du dich gewaltig geirrt.“
Protestierend hob Anthony den Finger, öffnete den Mund und schloss ihn langsam wieder. Dann raunte er: „Das es so schlimm kommen wird, konnte niemand ahnen.“ Er winkte ab und ergänzte grinsend: „Die gesamte Menschheit muss ihren Tod bezahlen.“
„Blödmann.“ Jeff griente zurück. „Sie war eine verdammt gute Frau.“
„Ja, sie war die Beste“, bestätigte Anthony und atmete schwer durch. „Wir werden sie nie vergessen.“
„Vermutlich nicht. Aber dieses ,niemals‘ scheint schon bald seinem Ende entgegenzugehen. Ich habe Hunger. Weißt du, ob ein Diner in der Gegend übrig ist? Das Steakhouse ist abgebrannt und bei Kneaders waren die Scheiben eingeschlagen.“
„So viel ich weiß, gibt es nur ein Café Richtung Willard Peak, und direkt am See habe ich einen Diner gesehen. Die Einhundertneunundachzig nach Evanston ist nicht mehr befahrbar. Dort könnte es besser aussehen.“ Anthony überlegte ein paar Sekunden. „Ich habe ein paar Steaks von Bill übrig. Die können wir uns machen.“
„Klingt verführerisch“, sagte Anthony.
Nachdenklich nickte Jeff. „Sollte ich mir Sorgen wegen des Untergangs machen? Irgendwie ist mir das alles gerade ziemlich egal.“
„Das kann ohnehin niemand ändern. Also sollten wir uns ein paar schöne Tage machen. Und wenn du mich fragst, glaube ich nicht an das Ende der Welt. Letztlich ist eh alles nur ein großartiger Werbegag, um den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen und das Gesellschaftssystem umzukrempeln.“ Lässig winkte er ab, um die Bedeutung seiner Worte eindrucksvoll zu unterstreichen.
Jeff zweifelte an seiner Theorie und zeigte zum Himmel.
„Aber der Planet ist hier und wir können jeden Tag mitverfolgen, wie er näherkommt. Dann sind da diese Erdbeben und das seltsame Licht in den Nächten. Das kannst du doch nicht leugnen.“
„Dieser Professor ...“ Anthony wedelte beim Grübeln mit der Hand. „... Crowford ist der Meinung, dass der Planet immer wieder mal bei uns vorbeischneit. Ist die Welt jemals untergegangen?“ Er breitete seine Arme weit auseinander und griente.
„Ich hab von seinen Theorien gehört und von der Eiszeit, der Verschiebung der Kontinente und den schrecklichen Episoden auf der Erde, die jedes Mal danach aufgetreten sein sollen. Ich denke, wir sollten zu beten anfangen und uns auf den ganzen Mist vorbereiten.“
Anthony strich sich durch die Haare. „Ja, Mann. Du hast recht. Ich werde beten und zum Steak ein paar Bier besorgen.“
„Guter Junge.“
„Allerdings will ich unbedingt wissen, wie es dort oben aussieht. Ich werde zur ersten Generation gehören, die einen neuen Planeten besiedelt.“ Er zeigte hinter Jeff auf die Berge von Ogden. Jeff drehte sich um und folgte seinem Finger. Die gewaltige Bergkette war ein Vorläufer der weiten Steppe und sah wie Vulkangestein aus. Darüber schwebte Occasion als gigantische zweite Welt. Er war etwa zehnmal so groß wie der Vollmond in einer klaren Sommernacht. An diesem Morgen erstrahlte er goldgelb. Ein zarter Schleier lag darüber und eine Hälfte war zur Sichel verdunkelt, aber noch immer gut zu sehen.
Zum dritten Mal an diesem Tag vibrierte die Erde unter ihren Füßen, als ob sämtliche Leute vom Straßenbau neben ihnen die Presslufthämmer eingeschaltet hätten. Kleine Steinchen hüpften über die längst gesprungenen Gehwegplatten. Das Netz am Baseballkorb tanzte Lambada und die Bäume ächzten dazu. Dieses Beben war stärker als alle davor.
Die Kirchenglocke begann wirr zu läuten und auf der Straße hinter dem Park rasten zwei Autos ineinander. Jemand stieß einen kläglichen Schrei aus.
Dann wurde es still.
Eine beängstigende Stille ohne den rollenden Verkehr, den Gesang der Vögel oder dem sonst nervigen Zirpen der Zikaden versetzte das Land in eine Atempause der Besinnung und Vorahnung.
„Hey, das war heftig“, durchbrach Anthony die Totenstille.
Jeff schob seine Hände in die engen Jeanstaschen. „Vielleicht ist es gut, dass sie das hier nicht miterleben muss.“ Seine Stimme vibrierte leicht.
Anthony nickte und legte den Arm auf Jeffs Schulter. Er hatte verstanden. „Ja, vielleicht ist es besser. Sonst hättest du dir mächtig etwas anhören können. Ich meine, so wie du im Park auftauchst.“ Mit flacher Hand zeigte er auf Jeff.
Sein fragender Blick und die Falten auf der Stirn genügten, damit Anthony erklärte, was er meinte. „Dir würden eine ordentliche Rasur und ein Haarschnitt guttun.“
„Unsere Zeit war zu kurz.“ Jeff hing den Erinnerungen nach.
„Weißt du, mein Freund, das Leben ist nicht fair. Das habe ich bereits in der Buddelkiste begriffen.“ Er stieß ihn freundschaftlich gegen die Brust. „Es wird Zeit, ein paar Körbe zu werfen. Los, komm.“
Jeff schüttelte den Kopf. „Keine Lust. Ich muss nachher zur Beerdigung.“
„Jil? Ist das heute? Verdammt! Warum hast du mir nichts gesagt?“ Anthony wirkte aufgebracht.
„Daraus will ich keine große Sache machen.“
„Ausgerechnet du sagst das? Wenn ich an deine gigantische Hochzeitsparty denke, kann ich mir nichts Größeres vorstellen. Weißt du, Jil hätte gewollt, dass sich alle Jungs zusammenfinden. Schließlich war sie nicht nur unser Maskottchen, Mann. Jeder mochte sie. Ich sage den anderen Bescheid. Wann fängt die Trauerfeier an?“
„Nein, lass es sein. Ich will das nicht.“
„Jetzt sag schon.“ Fordernd stellte sich Anthony vor ihn.
„Um elf.“ Geistesabwesend sah Jeff zu Occasion. „Ohne sie ist die Welt still geworden.“
„Du kannst jederzeit zu mir rüberkommen. Wir können wie in alten Zeiten diskutieren, ein Bier trinken, Körbe werfen oder was auch immer. Wie wäre es mit unseren Songs? Lass uns etwas zusammen spielen.“
Jeff wandte seinen Blick nicht vom Himmel ab. „Nichts ist wie früher. Außerdem spiele ich nicht mehr. Nie wieder.“
Marc und Sven trafen im Park ein. Anthony rief ihnen zu und warf den Ball auf den Platz.
„Weißt du noch, wie mir Jil den Job bei Jones besorgt hat?“ Anthony versuchte, ihn auf andere Gedanken zu bringen.
Jeff nickte. „Klar. Arbeitest du noch bei ihm?“
„Ist nicht unbedingt mein Traumjob, wenn du das meinst. Aber inzwischen mag ich die Bücher und Ben. Und wie es aussieht, will er weitermachen, bis nichts mehr geht. Und solange ich nichts Besseres zu tun habe, ziehe ich das durch.“
Marc spielte Anthony den Ball zu, den er abfing und damit dribbelte.
Big Michael fand sich im Park ein. Lässig hielt er die Hand nach oben und ließ sich von den anderen abklatschen. „Yo Mann, Jeff. Zeigst dich wieder im Getto? Lass dich umarmen, Alter. Was macht dein neues Tape? Ich steh total auf diese Scheiße.“
Jeff erwiderte seine Worte mit aufgesetztem Lächeln. „Dein Rhythmus ist aber auch nicht schlecht.“
Big Michael stellte seinen übergroßen Gettoblaster auf die Bank zu Jeff. „Weil es deine Songs sind. Wir sollten endlich wieder spielen.“
Die Musik war Jeff egal geworden. Er schüttelte den Kopf.
Big Michael stellte sich neben ihn, folgte seinem Blick zu Occasion und sagte: „Noch ein paar Tage, dann fickt dieser Planet unser Leben.“ Er tätschelte Jeff am Oberarm, schaltete den Gettoblaster ein und schnappte sich den Ball.
Nach den letzten Rhythmen von Steve Harley folgten die Nachrichten mit den neuesten Kurzmeldungen zu Straftaten und den gesammelten Erkenntnissen der Wissenschaftler. Sie hatten Professor Jayson Grant ins Studio eingeladen, den spätestens seit diesem Ereignis jeder im Land kannte. Seit fast drei Wochen teilte er die neuesten Prognosen über mögliche Auswirkungen auf die Menschheit und die Erde fast täglich mit.
Damals, als sich die Meldungen zum Untergang der Welt manifestiert hatten, war die Börse in kürzester Zeit kollabiert. Selbst der Black Thursday im Oktober neunundzwanzig oder die Auswirkungen der massiven politischen Fehlentscheidungen bei der Covid 19 Epidemie zweitausendzwanzig waren ein Kindergeburtstag gegen den aktuellen Crash gewesen. Sämtliche Investoren hatten gleichzeitig versucht, ihre Aktien zu verkaufen. Der Kapitalfluss brach zusammen. Innerhalb weniger Stunden fiel der Wert aller börsennotierten Unternehmen um mehrere Billionen Dollar. Die Banken forderten ihr Geld von den Gläubigern und zwangen sie dazu, ihre Sicherheiten zu veräußern. Das löste eine nie dagewesene Immobilienkrise aus, die das Finanzsystem über Nacht vernichtete. Innerhalb weniger Wochen verloren Millionen Menschen ihre Arbeit, ihre Häuser und jeglichen Besitz. Die Selbstmordrate war um das Achtfache gestiegen. In über fünfzig Ländern war nahezu gleichzeitig das Kriegsrecht ausgerufen worden.
Seitdem hatten sich neuartige Fraktionen gebildet, größtenteils friedliche, die eine Ankunft von Aliens erwarteten oder sich diversen Prophezeiungen hingaben, andere kündigten den Untergang der Welt an und beteten für ihr Seelenheil und einen Platz im Himmel. Zudem gab es radikale Gruppen, die plündernd durch die Lande zogen oder in okkulter Vorstellung Menschen und Tiere für ihren Zweck opferten.
Jayson Grant bestätigte an diesem Tag offiziell, dass Occasion nicht mit der Erde kollidieren und der Abstand in nur gut einer Woche am geringsten sein würde, bevor er die erdnahe Bahn und das Sonnensystem zügig hinter sich lassen würde.
Big Michael, Anthony und Jeff standen um das Radio herum, waren mucksmäuschenstill und lauschten angespannt seinen Worten.
„Ist das unser Ende?“, fragte Anthony und Big Michael zischte, damit sie Grant hören konnten, der von erheblichen Verwerfungen, flächendeckenden schwersten Erdbeben und einer alles vernichtenden Dunkelheit sprach, die seiner Ansicht nach von Asche und einer zerstörten Atmosphäre ausgelöst werden könnte.
Im Anschluss an die Nachrichten schaltete Big Micheal ab und sie sahen sich gegenseitig an.
„Eine Woche?“, sagte er. „Das ist verdammt wenig Zeit.“
An diesem Tag warfen die Freunde keine Körbe mehr, diskutierten über ihre knappe Zukunft und was sie mit ihren letzten Stunden anfangen wollten.
3 Radio UGF
Professor Jayson Grant stand in seinem abgewetzten braunen Anzug neben dem jungen Moderator im Sendestudio. Die Farbe seines Dreitagebartes hatte sich den grauen Haaren weitestgehend angeglichen. Tiefe Falten zeichneten sich unter seinen Augen ab.
Der Song „On the Mountains“ von Christopher Wood kam aus einem kleinen Lautsprecher und auf dem Pult blinkten hektisch ein paar Lämpchen.
Alec, das schlanke brünette Mädchen, sechszehn Jahre alt, arbeitete seit ein paar Monaten als Praktikantin im Sender.
Sie brachte zwei Tassen Kaffee, stellte eine vor den Professor auf den Schreibtisch, und drückte die andere Ray in die Hand.
„Wann lässt du mich endlich selbst ein Interview machen?“, zischte sie, damit Jason nichts mitbekam.
„Du bekommst eine Chance, versprochen. Du bist gut und ich schätze deine Arbeit. Sag mir, sobald du ein gutes Thema gefunden hast. Bis dahin brauche ich dich hier.“ Ray legte den nächsten Song im Computer bereit.
„Ich habe dir eintausend Themen vorgeschlagen und du lässt mich den Kaffee holen. Tolle Arbeit.“ Sie schmollte. Sogar das wirkte total süß bei ihr.
Ray schmunzelte, riss sich aber zusammen und sagte ernst: „Du wirst an die Westküste reisen und von den Starts der Raketen berichten.“
Sie machte große Augen. „Was? Echt? Ich darf nach Santa Maria?“
Er bejahte und nippte einen Schluck vom heißen Kaffee.
Sie schnippte um seinen Hals - der Kaffee schwappte über - und umarmte ihn fest. „Danke, danke, Ray. Du wirst es nicht bereuen.“
Ray schob sie zurück, stellte die Tasse ab und wischte kurz über die Kaffeeflecken. „Schon gut. Ich muss jetzt arbeiten.“ Er ging zu Jason, sagte: „Wir können gleich starten“, und setzte sich an das große Mischpult, drückte den roten Knopf und sprach ins Mikrofon: „Weiter geht es mit unserem heutigen Gast. Ich freue mich, dass ich heute den bekanntesten Experten in Sachen Occasion bei Radio UGF begrüßen kann. Es ist ...“ Ray machte eine theatralische Pause. „Professor Jason Grant. Wie angekündigt, wird er Ihre Fragen beantworten. Rufen Sie jetzt an.“ Er drehte sich zu Jason. „Herzlich willkommen in Ogden, Professor. Ich brauche Sie ja nicht näher vorzustellen. Seit einigen Monaten kommen in allen relevanten Medien die maßgeblichen Daten und Fakten zu Occasion aus Ihrem Labor. Um ehrlich zu sein, hätte ich nie geglaubt, dass Sie einmal in einem Sendeformat wie diesem auftreten. Wie kam es zu dem Entschluss?“
Jason räusperte sich. „Ich bedanke mich für Ihre Einladung. Sie haben mit Ihrem Piratensender eins der letzten funktionierenden Studios im Land. Glauben Sie mir, sonst wäre ich bei CNN, KOMO, WVBL und wie sie alle heißen.“ Seine herbe Stimme war klar.
Ray rückte seinen Kopfhörer zurecht, der nur auf einem Ohr saß, und drückte einen blinkenden Knopf auf dem Pult. „Wir selbst bezeichnen uns nicht als Piratensender. UGF ist eine Alternative. Aber das soll heute nicht unser Thema sein. Ich habe Jaime aus Salt Lake City in der Leitung. Er möchte wissen, ob die relativ knappe Entfernung des fremden Planeten zur Erde Auswirkungen auf die menschliche Psyche haben kann. Professor Grant, unsere Leitungen hier bei Radio UGF laufen heiß, weswegen ich diese Frage direkt an Sie weitergebe. Also, gibt es zwischenzeitlich fundierte Aufschlüsse über mögliche Einflüsse des Planeten auf uns Menschen?“
Grant zog seine Weste nach vorn und richtete das Mikrofon aus.
Ray nickte ihm auffordernd zu.
Nach ein paar Sekunden der Stille räusperte sich Grant wieder und sagte: „Vielen Dank für Ihre interessante Frage, Jaime.“ Er überlegte kurz und fuhr mit tiefer, ruhiger Stimme fort. „Wie wir inzwischen wissen, wird Occasion in einer Entfernung von zweihunderttausend Kilometern an der Erde vorbeifliegen. Das entspricht in etwa der Entfernung von der Erde zum Mond. Durch die gegenseitige Anziehungskraft wird die Erdumdrehung vermutlich abgebremst, wodurch sich bestenfalls unser gewohnter Tagesablauf ausdehnt. Nach den vorliegenden Zahlen gehe ich davon aus, dass sich der Tag-Nacht-Zyklus für zukünftige Generationen nahezu verdoppeln wird.“ Er hüstelte und schob nach: „Sofern die Menschheit das überlebt. Denn durch dieses Ereignis ergeben sich weitreichende Veränderungen in unserem Alltag. Eine Verschiebung des Kraftfeldes könnte fatale Folgen für die Erde und jegliches Leben nach sich ziehen und bringt unsere sogenannte innere Uhr – und damit den Rhythmus – völlig durcheinander. Diese Tatsache wird die Psyche durchaus beeinflussen, aber es wird keine Strahlen oder spürbare Magnetfelder geben, wie in den kommenden Wochen publiziert wurde.“
Ray drehte sein Mikrofon mehr zu sich. „Also existiert die innerliche Beeinflussung nicht wirklich, Professor Grant?“
„Nun, wenn man bedenkt, dass der Kosmos fundamentale Auswirkungen auf das heutige Leben, unsere Entwicklung und natürlich auf die Psyche hat, könnte eine Verschiebung des Magnetfeldes das Leben in den Grundstrukturen neu ordnen. Im Zuge dieser Veränderung könnten sich – sagen wir im Maßstab einer Evolution - durchaus neue Lebensformen entwickeln. Im Gegensatz dazu wird in dem gesamten Prozess das bestehende Leben, so wie wir es kennen, enden. Das ist aber nicht ganz mein Fachgebiet. Mir sind aber einige Modellversuche bekannt und ich konnte zahlreiche Studien einsehen. Dieser Tage erhalten wir ständig neue Informationen. Bei der knappen Zeit, die uns bleibt, können Sie sicher sein, dass wir mit Hochdruck an Vorhersagen und Lösungen arbeiten.“
„Vielen Dank, Professor Grant. Die nächste Frage kommt von Stan aus Greeley. Wir freuen uns, dass Radio UGF auch im Nachbarstaat Colorado treue Hörer hat. Wie bekannt ist, gibt es auf Occasion eine Sauerstoffatmosphäre. Stan fragt in diesem Zusammenhang, ob es Abweichungen von der Erdatmosphäre gibt, die Einfluss auf die dortigen Lebensbedingungen haben könnten. Immerhin werden um die fünfundzwanzigtausend Menschen umsiedeln, bevor jemand überhaupt vor Ort war.“ Ray sah zu Grant und nickte ihm zu.
„Ein Team von sieben ausgebildeten Astronauten ist derzeit auf dem Weg dorthin und müsste in diesen Stunden auf Occasion landen. Aber wir sind uns jetzt schon sicher, dass die Luft für Menschen, Tiere und Pflanzen von der Erde geeignet ist. Unabhängige Analysen und tausende Daten wurden bis heute ausgewertet. Wir haben großes Glück und eine gewaltige Chance, das Überleben der Menschheit mit der Umsiedlung zu garantieren.“
„Wie kann sich eine komplett identische Atmosphäre auf unterschiedlichen Planeten entwickeln?“, warf Ray ein und trank einen Schluck aus seiner Kaffeetasse.
„Die Wahrscheinlichkeit ist in der Tat verschwindend gering. Wir haben dafür keine passende Erklärung gefunden. Die einzig schlüssige Darstellung wäre, dass beide Welten vor langer Zeit direkt nebeneinander entstanden sein müssten beziehungsweise aus einer gemeinsamen größeren Mutterwelt hervorgegangen sind und sich gewissermaßen geteilt haben. Nach dieser Theorie besteht sogar die Möglichkeit, dass weitere Planeten in der Zuordnung existieren. Aber bei diesem Thema nähern wir uns doch allzu sehr der Spekulation.“
„Ja, vermutlich. Alleine die grundverschiedenen Umlaufbahnen untermauern das nicht gerade.“
Grant nickte, lehnte sich zurück und überschlug die Beine. „Vielleicht finden wir auf Occasion erste Hinweise darauf“, sagte er.
„Was wissen Sie über die Atmosphäre, das Wetter, Anbaubedingungen, Regenzeiten und solche Dinge? Gibt es Seen, Flüsse und Ozeane dort oben?“
„Ein Großteil der Oberfläche besteht aus Wüste mit Quarzsand. Wir gehen derzeit von siebzig bis achtzig Prozent aus. Die Luftfeuchtigkeit ist partiell relativ hoch und auf der uns zugewandten Seite konnten wir keinerlei Meere oder Flüsse ausmachen. Möglicherweise sammelt sich das Wasser im Boden. Das würde zumindest die sporadisch auftretende Vegetation erklären. Es herrschen Temperaturen von plus/minus vierzig Grad auf der uns zugewandten Seite. Dazu kommt, dass Occasion keine messbare Eigenrotation besitzt.“
„Die Rotation bringt uns auf der Erde den Tag und die Nacht. Darauf ist das Leben aufgebaut.“ Ray zog eine Augenbraue hoch.
„Alles ist neu und vieles nicht erforscht. Die Zeit war zu knapp, um genug herauszufinden. Aber Sie haben natürlich recht. Dieser Zyklus existiert auf Occasion nicht. Die ausgewählten Menschen werden sich daran gewöhnen müssen.“
„Vielen Dank.“ Ray schaltete am Pult den nächsten Hörer zu. „Willkommen bei Radio UGF. Bitte stellen Sie sich kurz vor.“
„Ich heiße Carolyn Aguilar und komme aus Idaho Falls.“
„Welche Frage möchten Sie Professor Grant stellen? Sie sind live auf Sendung.“
„Wie Sie gerade gesagt haben, gibt es weder Tag noch Nacht. Wie sieht es mit den Jahreszeiten aus? Besonders bei den Pflanzen ist der Wechsel genetisch verankert. Werden die das überstehen?“
Grant wartete einen Moment, bevor er antwortete. „Wenn die Bäume ihre Blätter abwerfen, ist das eine Reaktion auf das Klima und die Umgebungstemperatur, also der äußeren Einflüsse. Bleibt diese Temperatur konstant, werden die Bäume immergrün sein. Darin sehen wir also kein Problem. Pflanzen und Tiere sind anpassungsfähig. Wenn wir zunächst einmal die gigantische elliptische Flugbahn näher beleuchten und in Betracht ziehen, dass sich sämtliche Erkenntnisse auf die Grundlagen unserer Welt und den bekannten Teil des Universums beziehen, stehen wir erstmals wieder am Anfang der Forschung. Wir haben es mit etwas völlig Neuem, nie Dagewesenem zu tun. Erst heute Morgen hat das Labor in Ohio errechnet, dass ein Jahr auf Occasion etwa siebentausend Jahre auf der Erde entspricht. Demnach könnte es dort sehr lange Winter geben, über die wir keinerlei Informationen haben.“
„Dann sollten alle, die ein Ticket besitzen, einen dicken Pelzmantel mitnehmen. Danke, Professor Grant. Zum Abschluss habe ich eine Hörerin aus Smithfield am Telefon.“ Ray schaltete sie mit Knopfdruck zu. „Shelly. Stellen Sie sich kurz vor und sagen Sie unseren Hörern wie Sie persönlich mit der aktuellen Situation klar kommen.“
...
Info am Rande: Die geplante Überarbeitung sollte ursprünglich unter neuem Titel erscheinen, da sie ausgesprochen umfangreich ausfallen sollte. Das Cover dazu wurde bereits erstellt, jedoch ist dieser aufwendige Schritt, mit neuen Charakteren und Handlugssträngen, zunächst auf Eis gelegt.