Was würdest du dir wünschen, wenn du einen Wunsch frei hast?
Kate, die wunderschöne Meeresnymphe wird vom Olymp auf die Erde verbannt. Bisher kannte sie die Menschen nur aus Erzählungen. Ohne ihre göttlichen Kräfte ist sie gezwungen, sich auf diese primitive Spezies einzulassen. Sie entdeckt die Welt mit ihrer quirligen Art und sorgt für reichlich Wirbel bei den Menschen.Insgesamt wäre ihre Verbannung gar nicht so übel, wenn nicht ein mächtiger Gott versuchen würde, sie zu töten.
Abenteuer, Fantasy, Liebe
Taschenbuch, 346 Seiten
Taschenbuch
eBook
Schon die erste Testleserin verschlang den Roman in nur drei Tagen – ein Zeichen dafür, wie fesselnd die Geschichte ist. Leserinnen und Leser bestätigen: Die Erwartungen, die der Klappentext weckt – eine Mischung aus Mythologie, Spannung, Humor und zeitgenössischer Tiefe – werden voll erfüllt, oft sogar übertroffen. Besonders gelobt wird, dass die Handlung nicht in Klischees verfällt, sondern mit überraschenden Wendungen und ernsthaften Untertönen überzeugt.
Auch der Schreibstil begeistert: „Du wirst von Mal zu Mal besser“, heißt es in einer Rezension. Er animiere immer wieder zum Weiterlesen, flüssig, lebendig und voller Bilder. Die Buchidee selbst erhielt im Schnitt die Schulnote 1,3, die Umsetzung sogar eine glatte 1.
Die Figuren haben einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Kate wird als kluge, mutige und manchmal arrogante Frau beschrieben – ein Vorbild, das zeigt, wie man auch nach Rückschlägen wieder aufsteht. Luan gilt als der Außenseiter, der im Laufe der Geschichte eine faszinierende Entwicklung durchmacht. Zum heimlichen Publikumsliebling aber wurde Tartaros, der Herr der Unterwelt, der zugleich stark und grausam, aber auch witzig und überraschend liebenswert ist – und dafür die Note 1+ bekam.
Alle Leserinnen würden „Kate – Eine Göttin auf Erden“ weiterempfehlen. Sie loben die spannende, schlüssige Handlung, die ohne Längen auskommt, die Mischung aus Action und ruhigen Momenten, die starken Charaktere und sogar das Cover. In den Rezensionen heißt es: „Ein vielversprechender Roman, der die alten Legenden um die Götter völlig neu und spannend erzählt … Figuren, an denen man wachsen und manchmal verzweifeln kann, die aber Mut und ein Lächeln schenken.“ Oder: „Eine tolle Story, die mich von der ersten Seite an begeistert hat. Ich konnte mich in jede Situation hineinversetzen und war immer mitten im Geschehen.“
„Kate – Eine Göttin auf Erden“ ist ein moderner Blick auf alte Mythen – spannend, überraschend, tiefgründig und emotional. Ein Roman, der mitreißt, zum Lachen bringt, berührt und zeigt, dass auch Götter ihre Geheimnisse haben.
Thriller, Fantasy, Liebe, Lebensgeschichte, Rache
Taschenbuch, 346 Seiten ISBN: 978-3960501305		€ 16.90
(auch als EBook erhältlich)						€   8.99
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Prolog
Die göttliche Klangschale kündigte dumpf hallend das Fest der Feste an. Die Horen, einst mächtige Töchter des Schicksals, schwebten dieser Tage öfter durch die Gänge des Zeus als üblich. Sie umwarben mit festlichen Gesängen die lichterfüllten Bewohner des Olymp.
Kate Neverate war die Tochter von Atlas, der einst das Himmelsgewölbe geschultert hatte, und der Meeresnymphe Amathia. Es war der Tag ihres neunzehnten Geburtstages. Und wie jeder neue Tag begann auch dieser in der glanzvollen Stunde im zeitlichen Gefüge der Göttlichkeit, in der sie ihre hellblauen, klaren Augen aufschlug. Schönste Vogelgesänge und blasses Säuseln des Windes drangen in ihr Schlafgemach, das einem goldenen Palast glich, dessen hohe Decke mit Edelsteinen und opulentem Prunk reich verziert war. Schmale, hohe Säulen, die bis in den Himmel zu reichen schienen, bildeten die Fenster mit einer Aussicht auf die pompöse Palastanlage und das endlose himmlische Reich des Zeus, das an diesem prachtvollen Tag in Weiß und Gold erstrahlte.
Mit ihrem Augenaufschlag begann Kate, sanft zu schweben. Sie erhob sich durch ihre Zudecke hindurch, die sich an dieser Stelle auflöste und unter ihr wieder ineinanderfügte, um sich anschließend zu einer akkuraten Dekoration auf ihrem imposanten Nachtgemach zu formen.
Kates makellose Haut besaß weder Fältchen noch ein einziges Härchen außerhalb des Haupthaares, ihrer Wimpern und Augenbrauen. Die Vollkommenheit ihres Körpers war selbst in den Kreisen der Götter eine wahre Erquickung und hatte bereits manchem Künstler als Vorbild und Quell der Inspiration gedient. Ihre Schultern waren gerade, ihre Brüste rund und straff. Die Brustwarzen fehlten wie bei allen himmlischen Wesen und der Bauchnabel war nur angedeutet. Sie besaß nur einen einzigen Makel: Das war ein winziges Muttermal knapp über ihrem linken Mundwinkel. Dieser kleine, dunkle Punkt erinnerte daran, dass es selbst unter den Göttern keine vollständige Perfektion geben durfte. Denn die pure Reinheit und der Ursprung allen Seins waren alleine den Erschaffern des Reiches der Erde und der Finsternis vorbehalten.
Kate breitete bedeutsam ihre Arme aus, womit funkelnde, goldene Sternchen ihre Handgelenke und Fesseln umgaben, die sich rasch vermehrten und über ihre Arme krochen und von unten her die Beine bedeckten, bis sie sich am Bauch vereinten. Aus dem Glitzern formten sich edelste Stoffe aus der Garderobe der königlichen Götter. Sie bildeten wie jeden Morgen ihr neues Gewand, während sie graziös schwebend auf den erlesenen Läufer zu glitt.
Kate Neverate zählte zu den besten Schülerinnen seit über eintausendfünfhundert Jahren und hatte die hohe Ehre, am Königsberg der Schicksalsgöttinnen zu leben.
Mit erhaben ausgebreiteten Armen begrüßten sie schneeweiße Tauben und funkelnde Schmetterlinge. Sie kamen zu ihr und ließen sich in vertrauter Harmonie auf ihrer Schulter und den Armen nieder oder landeten aufgeregt daneben.
Das schier endlos hohe Tor ihres Gemaches öffnete sich ohne Zutun. Sie schwebte hinaus in die Halle der gewaltigen Chamyne, sah sich um und beschloss, den Morgen am heiligen Fluss zu beginnen, um zu danken und Kraft für diesen wichtigen Tag zu schöpfen.
Auf dem Weg, vorbei an der Kathedrale des Aello der Windsbraut, kam ihr Tityos, der große, muskelbepackte und gehörnte Sohn des Zeus, schwebend entgegen. Als er Kate erblickte, verharrte er augenblicklich, legte vornehm die Hand auf seine Brust und verbeugte sich ehrerbietig zum Gruß.
»Einen guten Morgen, edle Tochter von Atlas. Ihr seht liebreizend aus, Euer Gewand kleidet Euch außerordentlich und Euer Haar funkelt graziös im Licht, dass es mir den Morgen versüßt.«
Seine Lippen bewegten sich nicht.
»Verschwindet und nehmt Eure flammenden Sprüche mit.«
Auch ihr Mund blieb bei diesen Worten geschlossen. Sie strich sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht und schwebte an ihm vorüber, ohne ihn länger anzusehen. Dann fing sie an, ihre Beine zu bewegen, als ob sie laufen würde. Zuerst war es deutlich langsamer, als sie tatsächlich vorankam, dann berührte sie den Boden und lief auf ihren Sandalen zum Tempel der Dione.
»Wartet«, rief Tityos hinter ihr her. »Ich habe Euch ein Geschenk mitgebracht.«
Kate blieb stehen und drehte sich zu ihm um. Sie wartete, bis er zu ihr geschwebt war und sich vor ihr niedergelassen hatte. Mit schräg gestelltem Mund bot sie ihm einen kühlen Blick.
»Für Euch, hochgeschätzte Kate.«
Er hielt ihr einen prunkvollen Kelch entgegen.
»Ist das der Kelch des Giddiness? Wo habt Ihr ihn her?«
Er grinste breit und nickte. »Alles Gute zu Eurem Wiegenfest.«
Kate öffnete ihre Lippen und sprach mit der Stimme ihres Körpers: »Ich will ihn nicht. Niemals befindet er sich rechtmäßig in Eurem Besitz.« Dann stockte sie kurz und fragte: »Wie funktioniert der überhaupt?«
»Umschließt einfach mit Eurer Hand die Schale fest von unten und träufelt ein paar Spritzer des immerwährenden Wassers auf Euer Gegenüber. Dann erscheinen unumwunden die Gedanken der Wahrheit.«
Kate entriss ihm den Kelch. Die klare Flüssigkeit schwappte über. Ein kräftiger Schwall tropfte herab, verblasste und verschwand, bevor er den Boden erreichte. Sie umschloss den Kelch, der nach wie vor gut gefüllt war, tauchte ihre Hand hinein und spritze Tityos damit nass.
»Was soll das?«
Entrüstet trat er zurück.
»Wo habt Ihr diesen Kelch her?«, fragte sie ihn noch einmal.
Und er konnte nicht anders, als die Wahrheit kundzutun: »Vor zwei Monden habe ich ihn Metias abgenommen, als er diesen unbeaufsichtigt stehen ließ.«
Er hielt sich die Hand vor den Mund, obwohl seine Worte ohnehin nur durch seinen Geist kamen.
Harsch drückte Kate ihm den Kelch an die Brust, zeigte mit ausgestrecktem Arm gen Norden, wo das Heiligtum des Metias stand, und sagte laut und bestimmt: »Geht, Tityos. Geht mir aus den Augen, bringt den Kelch zu seinem rechtmäßigen Besitzer zurück und tut Buße für Euren Frevel.«
»Aber wir könnten jede Menge Spaß damit haben«, sagte er mit gesenktem Kopf. »Niemand weiß, dass er sich in unserem Besitz befindet.«
Sie stieß ihn zurück und schrie mit göttlicher Stimme: »Ich weiß es und Zeus wird es ebenso wissen.«
Ihre Augen glühten. Ihr ausgestreckter Arm deutete unentwegt gen Norden.
Mit sanftem Lächeln versuchte er sie doch noch umzustimmen. Doch als Maia, ihre Schwester und Tochter von Pleione, zu ihnen schwebte, versteckte er rasch den Kelch hinter seinem Rücken und versuchte unschuldig auszusehen.
»Ein herrlicher Morgen«, stellte sie mit geschlossenen Lippen und ihrer ruhigen, singenden Stimme fest.
Der säuselnde Wind begleitete ihre Worte. Um ihren Haarkranz tanzten funkelnde Sternchen und ihr leichtes Gewand floss im seichten Strom des Atems der Welt. Tityos verbeugte sich galant.
Sie registrierte es mit der Andeutung eines Wimpernschlags und sagte zu Kate: »Ich habe gehört, dass Ihr heute in den Kampf gegen Perseus treten werdet, schönes Kind. Wollt Ihr Euch wirklich diese Blöße geben? Ihr seid zu jung und unerfahren. Er wird mit Euch spielen und Euch mit dem kleinen Finger zerquetschen, sobald er es will.«
»Ich bin nicht scharf auf dieses Duell, Maia. Aber Herakles würde es sehr gerne sehen. Ich möchte ihm den Gefallen erweisen.«
»Verweigert Euch. Dieses Duell unterliegt nicht Euren Pflichten als Tochter von Amathia. Euer Platz neben den Hallen des Zeus erlaubt Euch die Freiheit der Wahl.«
»Vermutlich habt Ihr recht.« Sie blickte über Maias Schultern, wo sie ihren Herausforderer auf sie zukommen sah. »Dort kommt er höchstpersönlich. Perseus, der grandiose Sohn des Zeus. Und der eingebildetste.«
»Kate. Bitte ignoriert ihn und lasst Euch nicht auf diesen Kampf ein. Ihr habt auch im kommenden Jahr erneut die Chance, um einen Platz im Olymp und den Thron zu kämpfen. Wie Ihr wisst, hat Perseus noch nie einen Kampf verloren. Lasst ihn dieses Jahr einfach gewinnen. Es ist sein letzter Showkampf in der Altersstufe.«
»Er ist noch nicht gegen mich angetreten«, sagte Kate sehr leise und schmunzelte dabei.
Perseus positionierte sich lässig neben sie. Er hatte sich heute besonders herausgeputzt, lächelte die drei an und knickste mit drehender Hand.
»Worüber reden die edlen Damen? Ich hoffe, Ihr habt von mir gesprochen.«
Kate schüttelte kaum sichtbar den Kopf, kniff die Augen zusammen und sah anschließend direkt zu ihm: »Haben wir. Wir reden bereits seit dem Morgen über nichts anderes als Euch.«
Er aalte sich breit grinsend in ihrem Kompliment, fuhr sich durch die Haare und entgegnete: »Ich hoffe, Ihr habt ein wenig trainiert.« Seine Worte klangen überheblich und erfolgsverwöhnt.
Kate musste zu ihm aufsehen. Auf seiner Schulter saß ein goldgeschmücktes Cape, das von einer goldenen Kordel gehalten wurde. Die andere Schulter war frei. Sein breiter Hals strotzte vor Kraft und ließ seinen Kopf winzig erscheinen. Kate bemerkte Maias flehenden Blick. Ihre Gedanken säuselten von Harmonie. Perseus sah zu Kate hinab und grinste herausfordernd.
Kate stellte selbstsicher ihr Lächeln entgegen und sagte: »Ich hoffe, edler Krieger des Zeus, Ihr verzeiht mir Eure Schmach nach diesem Kampf.«
Perseus fing herzhaft zu lachen an.
Als er sich wieder ein wenig beruhigt hatte, sagte er gespielt aufrichtig: »Um den Leuten eine angemessene Unterhaltung zu bieten, werde ich Euch in den ersten Minuten verschonen. Versprochen, Zuckerpüppchen. Ich muss weiter. Wir sehen uns heute Nachmittag.«
Er wandte sich ab und stolzierte davon. Sie schluckte und sah ihm erzürnt nach.
»Sagt einfach ab. Lasst Euch nicht provozieren.«
Sein Gelächter verhallte nach einigen Fuß Abstand und er sagte abfällig, mit schnippenden Fingern und ohne sich umzudrehen: »Kleine Nymphe.«
Dann entglitt er in die große Halle.
Kates Blick verweilte noch eine Weile in seiner Richtung. »Wie kann er es nur wagen?« Sie sah zu Maia. »Ich werde da sein. Ich werde ihm beweisen, dass eine Neverate ein würdiger Gegner ist.«
Ihre Wege trennten sich und Kate verbrachte den halben Tag am heiligen Fluss. Sie dankte den Mächten der Götter für ihre Geburt, das königliche Leben, das sie führen durfte, und die Ordnung und Güte des himmlischen Universums.
Das Fest begann am frühen Nachmittag. Den Höhepunkt bildete der finale Kampf der beiden Sieger aus den besten Häusern des Olymp. Die Fanfare dröhnte und die Zuschauer hatten erwartungsvoll ihre Plätze eingenommen.
»Dieses Jahr tritt das Haus des Zeus, vertreten durch Perseus, gegen das Haus Poseidon, vertreten durch Neverate, an. Die Regeln bleiben unverändert wie im letzten Jahr.«
Die Leute fieberten dem Höhepunkt des Tages entgegen. Der Redner ließ den Posaunen ihr Spiel, nahm eine weitere Pergamentrolle, schob sie auseinander und fuhr fort, während tausende Augen auf ihn gerichtet waren:
»Im Namen des Hohen Rates, bestehend aus Hera, Poseidon, Athene, Apollon, Ares, Persephone, Hades, Dionysos und Zeus, eröffnen wir die Arenaspiele auf dem Platz des himmlischen Olymp. Der Hohe Rat duldet während des Duells alle Fähigkeiten und Meisterschaften innerhalb des Zirkels mit Ausnahme von Portalen und der Kraft des schwarzen Lichts. Gekämpft wird, bis ein Spieler den Boden berührt oder eindeutig die Hand zur Aufgabe hebt.«
Ehrwürdig verbeugte er sich zuerst nach hinten zum Hohen Rat, dann zu den Zuschauern und schließlich noch einmal zu den Kämpfern. Die Posaunen spielten den finalen Ruf und er reckte die Arme in die Höhe und sagte: »Der Kampf ist eröffnet.«
Die Kontrahenten standen sich auf ihren Ausgangsplätzen etwa achthundert Fuß entfernt gegenüber. Perseus war mit nacktem Oberkörper erschienen und strotzte vor Muskelkraft. Zwei breite Lederbänder kreuzten sich auf seiner Brust. Er trug eine schmale, goldene Krone in seinem schwarzen Haar. Seine schweren Stiefel waren mit goldenen Ornamenten und langen Bändern geschmückt, die fast bis auf den Boden reichten. Mit lässig verschränkten Armen schwebte er auf der Stelle. Ihn umgab eine feine Aura aus schwarzem Nebel, der sich fortwährend um ihn herum ausbreitete und zu Boden sank.
Kate startete auf der anderen Seite, direkt unter der Empore des Königshauses. Zwei lodernde Fackeln zierten ihren Startpunkt. Sie hatte sich für dieses Duell ein weißes Cape mit Kapuze ausgesucht, das quer darüber eine dezente, rote Arabeske zierte. Weiße Sandalen, die bis hoch zu den Knien geschnürt waren, ein ebensolcher weißer Gürtel und darunter ein sehr knapper Minirock verliehen ihr einen epischen Glanz. Sie sah zu Perseus, der sich auf den ersten Angriff vorbereitete, und schwebte ihm bedächtig entgegen. In der Arena kehrte langsam Ruhe ein. Sie kannte seine Stärken vom Training und wusste um seine Macht und Gerissenheit.
Die letzten Zuschauer klatschten noch immer und feuerten damit die Kämpfer an. Kate war nervös. Das war eine Eigenschaft, die sie sonst nicht kannte. Aber dieser Kampf um den Thron und die Nachfolge von Zeus war etwas Bedeutendes. Auch wenn sie leicht auf den Thron verzichten könnte, wäre Perseus bestimmt die falsche Besetzung dafür. Alleine deshalb musste sie gewinnen.
Es wurde Zeit, sich zu konzentrieren. Sie richtete all ihre Gedanken auf Perseus, ihre Abwehr und den bestmöglichen Angriff. Bisher hatte sie immer geschafft, was sie im Leben erreichen wollte. Noch viel wichtiger war es jetzt, Perseus in die Schranken zu weisen.
Sehr bedächtig schwebte sie angriffsbereit mit grazil aneinandergelegten Beinen und leicht durchgedrückten Knien auf ihn zu. Sie fokussierte Perseus.
Blitzschnell richtete er seine Hände nach vorn und schoss einen schwarzen Nebelpfeil daraus hervor. Kate wartete bis zum letzten Moment und zog ihr Cape lässig vor sich, woran der Nebel zerschlug und sich vor ihr auflöste. Perseus glitt jetzt ebenso auf sie zu, riss mit fast unmerklicher Handdrehung und der Macht seiner Gedanken beiläufig den Sockel einer gebrochenen Säule aus dem Boden und schleuderte ihn zu Kate. Das Geschoss raste im Bogen durch die Luft. Staub und Steinchen bildeten einen feinen Vorhang. Die Zuschauer applaudierten.
Selbstsicher und mit flüssiger Bewegung wich Kate dem mächtigen Geschoss aus. Der Sockel schlug neben ihr in den Sand, erschütterte den Boden und blieb im aufgewühlten Dunst aufrecht stecken. Ein Murren ging durch die Reihen.
Perseus blieb auf der Stelle schweben und stemmte seine Hände in die Hüfte. Er wartete eine Weile, bis er sich auf die Brust klopfte.
»Los, kleine Nymphe. Komm und zeig mir, was du drauf hast.«
Gelassen verharrte sie, auf der Stelle schwebend, und verschränkte ihre Arme. Aufmerksam verfolgte sie seine Hände, die kaum sichtbar den »Nimbleball« vorbereiteten. Wie erwartet, erschuf er sogleich drei dicht aufeinanderfolgende, winzige Feuerkugeln aus seinen Fingerkuppen, die geradewegs auf sie zurasten. Mit flach aufgestellter Hand entfachte sie den transparenten Spiegel der Athene, dessen Macht der Bewegung den Schutz in die Breite zog, und schnellte beide Hände zur Seite. Das schaffte sie gerade noch rechtzeitig, um den flinken Angriff abzuwehren.
Flugs darauf ballte Perseus seine Fäuste, die sogleich zu flimmern begannen. Kate kannte die Attacken für alle möglichen Angriffe, deren Aufladezeit und entsprechende Wirkung sowie die jeweilige Verteidigung dazu. Doch was er nun vorhatte, entzog sich ihrem Wissen. Seine Fäuste flimmerten stärker. Er hatte seine Arme durchgestreckt und angespannt, sodass seine Adern hervorquollen. Mit finsterem Blick sah er sie von unten herauf an. Dieses formgewandte Grinsen gefiel Kate überhaupt nicht. Rasch öffnete er seine Fäuste, spreizte die Finger weit auseinander, von denen ein Strahl rotschwarzen Nebels in den Boden unter ihm floss. Es war der »Cage of Night«, fiel es Kate wie Schuppen von den Augen. Eine verbotene Macht des schwarzen Lichtes.
»Das wirst du nicht wagen«, schrie sie ihm entgegen, während sich unter ihm der Boden laut grollend aufwühlte und kleine Steinchen darauf tanzten.
Sein Lächeln blieb, als seine Hände nach vorne schnellten. Kate führte eine Seitwärtsrolle aus. Noch als sie kopfüber war, kristallisierte die Luft um sie herum und ließ sie dagegen fallen. Hilflos sackte sie in der festen Kugel nach unten. Perseus schob seine Hände aneinander und die Kristalle um Kate verengten sich. Sie stemmte sich dagegen und sah die Kristalle innerhalb der Kugel rot erglühen. Die Luft begann zu kochen.
Kate schnappte nach Luft. Die Hitze brannte in ihren Lungen. Ihre Wimpern schmolzen zusammen und ihre Haare fingen an zu qualmen. Eilig stellte sie den großen Spin gegen die Barriere. Druck baute sich auf und die Kraft von rotierendem Eis prallte gegen die heiße Membran, zerbarst vor ihren Augen und fiel kraftlos in sich zusammen. Es folgte ein andauernder Eisstrahl, der das glühende Hindernis durchschnitt. Der entstandene Riss schloss sich umgehend, als sie die Macht einstellte und bevor sie entkommen konnte. Für einen Moment erkannte Kate Perseus glühende Augen durch die Kristalle. Er sah aus wie von Tartaros besessen. Es war ein Ausdruck der Finsternis, als wollte er sie töten. Die Luft wurde heißer und fing im Kern zu brennen an. Mit seinem Handschlag explodierte die Kugel in einer gewaltigen Erschütterung, die selbst die Tribüne und den großen Palast erbeben ließ.
Die Menge sprang auf und kommentierte den Schlag mit Raunen. Als sich das Feuer, die Hitze und der schwarze Qualm lichteten, lag Kate, flach über der Erde schwebend, mit dem Gesicht nach unten in der Nähe ihrer Startposition. Ihr weißes Cape war grau bis schwarz, verbrannt und zerrissen.
Perseus glitt mit erhobener Hand und auf sich deutend auf sie zu und sah erhaben in die fassungslose Menge. Ihm fehlten anscheinend der Jubel und der ihm gebührende Zuspruch. Als er neben Kate schwebte, verschränkte er die Arme, stellte lässig einen Fuß auf ihren Rücken und drückte sie nach unten. Anfangs ging es ohne Mühe, doch kurz vor dem Boden musste er seine Anstrengung unter einem breiten Lächeln verbergen. Fast berührte sie die Steine, als sie sich seitlich wegrollte, seinen Stiefel fasste und ihn mit dem »Rush Shove« zur Seite schleuderte. Die Zeit nutzte sie, um sich aufzurichten und einen Quell lähmender Strahlen auf Perseus zu schleudern. Es folgte ein Eiskristall, der ihn an seiner Brust traf, eindrang und ihn durch die Arena schleuderte. Erst kurz vor dem Rand konnte er sich abfangen, bevor er den Boden berührte. Schnell konzentrierte er sich und war trotz sichtlicher Schmerzen umgehend wieder kampfbereit. Mit gekonnter Geste zerbarst er die Spitze des goldenen Palastes, die kippte und in die Tiefe auf die Arena zustürzte. Er bündelte das tonnenschwere Geröll zu einer massiven Masse, das die Form eines spitzen Dorns annahm und den Kurs in Richtung Kate änderte.
Sie sah, wie er sich eine Pause gönnte, während die gigantische Spitze immer schneller wurde. Er riss sich leidend den Kristall aus seiner Brust, der eine klaffende Wunde hinterließ. Er schien viel zu vertragen. Vermutlich hätte Kate an dieser Stelle bereits aufgegeben. Aber Perseus stellte bereits seine Arme für den nächsten Angriff schräg nach hinten.
Kate sauste zur Tribüne hinüber. Der Keil aus der Spitze des goldenen Palastes verfolgte ihre Bewegung. Sie hatte keine Zeit, sich hinter dem Schrein zu sammeln oder sich auf ihre gleißende Angriffssäule vorzubereiten. Da sie ziemlich dicht an der Schutzbarriere der Tribüne stand, prallte die tonnenschwere Spitze dagegen. Der Rat wusste schon, warum er eine solche Barriere für nötig erachtete.
Trümmerteile zerbarsten an dem Wall und verteilten sich über Kates Haupt, die auf der Stelle ein schützendes Schild über sich aufbaute und zur Seite auswich.
Perseus schoss wieder den »Nimbleball« auf sie und zerschnitt im selben Augenblick ihren Schutz. Die Trümmerteile rasten ungehindert auf sie zu, die drei Feuerkugeln kamen von vorne. Flink wich sie dem Feuer aus. Eine Kugel brannte ein Loch in ihr Cape, ein Gesteinsbrocken traf sie an der Schulter. Taumelnd riss sie sich das brennende Cape herunter und rief aus dem Boden den »Rain Cloudiness« hervor, der sie mit kühler, feuchter Luft umgab, das Feuer löschte und die Brocken über ihr augenblicklich aufweichte. Es blieb ein matschiger Regen übrig, der sie nicht verletzten konnte, sondern sie nur großflächig beschmutzte.
Perseus agierte weiter. Er griff gen Erde und lockte eine schwarze Dunstwolke aus dem Boden hervor, die er sogleich ins Erdreich zurückschickte. Im gleichen Augenblick, in dem der schwarze Nebel unter seinen Füßen verschwand, tauchte er unter Kate wieder auf, umhüllte sie und griff nach ihr wie die Hand eines Riesen, der sie ins Erdreich ziehen wollte. Sie bündelte die Energie des Wassers aus der Luft, schob sie unter sich und schützte sich so vor der Berührung des Bodens. Dann sah sie, wie ihr Widersacher die tödliche Wölbung vorbereitete, der sie die mächtige Kraft der gleißenden Angriffssäule entgegenstellen wollte. Doch zunächst schoss sie einen ersten, schwachen Strahl davon zu Boden, um sich mithilfe des Drucks aus den Klauen des Nebels zu befreien. Die mächtige Kraft wirbelte sie rücklings nach oben, drehte sie unkontrolliert, bis sie sich mit ausgestellten Armen und Beinen in luftiger Höhe stabilisieren konnte. Dort brauchte sie nur einen Wimpernschlag, um die volle Gewalt der tödlichen Wölbung vorzubereiten, die sie auf Perseus schoss.
Mit Leichtigkeit fing er ihre Attacke ab. Dazu musste er erneut die Macht des Schwarzen Lichtes bemüht haben. Kate zweifelte an sich. Wieso tat er das? Wer erlaubte es ihm und wieso brachen sie nicht den Kampf ab?
Sie konnte deutlich erkennen, wie ihre Macht der Wölbung in seiner finsteren Wolke vor ihm tanzte, bis er sie in dunkle Materie umwandelte. Damit würde sich die Wirkung vervielfachen, wusste Kate.
Sie hoffte, dass er es nicht wagen würde, diese zerstörerische Macht tatsächlich einzusetzen. Sie sah zur Tribüne. Der Rat schritt noch immer nicht ein. Erkannten sie nicht, was Perseus vorhatte? Kate wusste, dass diese Kraft den Schutzwall sprengen und den Palast mühelos zerstören würde. Wenn diese Kraft richtig ausgeführt werden würde, könnte sie die Götter auf dem Schicksalsberg vernichten und den Olymp für alle Zeiten unbewohnbar machen.
Sie sah wieder zu Perseus. Das Glühen seiner Hände hatte sich bereits über die Arme bis zu seiner Brust ausgebreitet. Er drehte die Handflächen bedächtig nach außen. Seinen Augen entfuhr das Feuer des schwarzen Lichtes. Es gab keine Zeit mehr zu verlieren. Kate richtete einen Arm zur Sonne. Sie schoss die Naturgewalten des Wassers und des Windes empor, woraufhin sich augenblicklich der Himmel verdunkelte. Die Sonne verlor ihre Wärme und das Licht. Kate mischte ihre Kraft mit den stärksten Mächten des Schwarzen Lichts, die den Göttern überliefert worden waren, was auf diese Weise bisher noch niemandem zuvor gelungen war. Der grelle Schein der Sonne bündelte sich, strömte lodernd zu ihr und floss in ihren aufgestellten Arm. Die Arena und der Palast verloren ihre Farben. Selbst dem Olymp entzog es die Beständigkeit, er begann zu bröckeln und sich an allen Ecken und Enden aufzulösen. Perseus blickte sie starr an, seine Augen waren schwarze Flammen und er war umgeben von einem finsteren Schleier. Er feuerte seinen tödlichen Strahl zu Kate. Einen Bruchteil später stellte sie das Licht des Universums dagegen.
Ein heftiger Schlag erschütterte die Erde und schmetterte Kate wie vom Zug gerammt durch die Arena. Sie schlug gegen die Schutzbarriere, wo sie abprallte und reglos in den Sand fiel. Kate sah noch, wie auch Perseus zu Boden ging und rücklings am anderen Ende der Arena über einem Felsen lag. Entfernt hörte sie die mächtigen Worte von Zeus über den Platz hallen: »Der Kampf ist beendet. Die Regeln wurden gebrochen.«
Das war das Letzte, was sie mitbekam, bevor sie ihre göttlichen Sinne verlor und die Dunkelheit ihre Seele einhüllte.
Kapitel 1
Es gab ein Thema, bei dem Luan Hensley am liebsten auswich. Jedes Mal, wenn es um ein Mädchen ging, schien es fast so, als wollte er nichts davon wissen. Doch ließ er es schlicht nicht zu, seine wahre Sehnsucht zu offenbaren, hatte Angst davor, verletzt zu werden, und wünschte sich nichts sehnlicher als die wahre Liebe zu einem Mädchen seines Alters.
»Komm schon, das wird eine Mordsparty. Heiße Bräute und bester Fusel.«
»Ich weiß nicht recht, Brandon. Vielleicht klingt es blöd, aber wir sollten besser für die Soziologieprüfung pauken. Du bist auch nicht so toll darin.«
»Was ist mit dir los? Willst du auf deine alten Tage noch zu einem Streber werden? Wie wär´s, wenn wir morgen früh zusammen üben? Wir treffen uns eine halbe Stunde vor der Lesung. Komm schon, so eine Party gibt es nicht alle Tage. Selina hat sturmfrei. Das bedeutet, wir haben das ganze Haus für uns. Die Clique kommt, Joyce und die Mädchen sind eingeladen und soviel ich weiß, kommen sogar die ›First Years‹. Wir lassen es heute Nacht so richtig krachen. Mal sehen, wie viele ich ins Bett kriege.« Er stieß Luan an den Arm. »Wann hast du die Letzte gehabt? Na? Sag schon.«
»Keine Ahnung.«
»Wir besorgen dir eine. Was sagst du? Bist du dabei?«
Luan dachte an Joyce. Vielleicht würde sich heute eine Gelegenheit ergeben, um endlich ein Gespräch mit ihr anzufangen. Möglicherweise könnte er ihr gestehen, wie verliebt er in sie war.
»Eigentlich kenne ich Selina gar nicht richtig. Aber gut, ich werde da sein.«
Brandon, der ein ganzes Stück kräftiger gebaut war als er, hielt seine Hand hoch.
»Schlag ein. Das wird die Party des Jahres.«
»Bringst du ein Geschenk mit?«
»Mal sehen, ob mein Alter noch eine edle Pulle rumstehen hat.« Er änderte die Tonlage. »Du, ich muss jetzt los. Wir sehen uns heute Abend.«
Zum Abschied hob er noch einmal die Hand und lief eilig die Prince Street hinunter.
Luan wohnte etwas außerhalb von Lancaster im Rosewood Drive, direkt am Conestoga River, einer ärmlichen Gegend. Er war das ganze Gegenteil von seinem Freund Brandon, der auf einem weiten Grundstück in bester Lage am River Drive wohnte. Sein Vater war Anwalt, seine Mutter ... Keine Ahnung. Sie verdiente jedenfalls auch nicht schlecht. Brandon hatte von Geburt an auf der Sonnenseite des Lebens gestanden. Sie konnten sich sogar zwei Hausangestellte leisten, während Luan den Rasen für die Nachbarn am Memorial Park mähte und an den Wochenenden deren Autos wusch.
Luan trat an den Straßenrand, als sich der Bus näherte und neben ihm anhielt. Er stieg ein. Joyce war mit ihrer Freundin anscheinend schon eine Haltestelle früher eingestiegen. Sie saßen in der vierten Reihe und unterhielten sich angeregt. Gut erzogen nickte er ihnen zu, doch offensichtlich bemerkten sie seine Anwesenheit nicht. Zwei Reihen dahinter nahm er Platz, stellte seine Tasche neben sich ab und sah den Mädchen zu, wie sie alberten und gestikulierten. Besonders verfolgte er die Gestik und Mimik von Joyce, sah immer wieder schüchtern zur Seite, weil er glaubte, dass sie seine Blicke bemerken würde. Er träumte davon, wie er sanft mit seiner Hand durch ihre langen, schwarzen Haare fuhr, ihre Wangen berührte und sie einfach ansah. Sie schenkte ihm seine Aufmerksamkeit, zeigte ernsthaftes Interesse an ihm und sprach mit ihm und lächelte ihn an. Seine Vorstellung intensivierte sich so stark, dass er gar ihren lieblichen Duft nach Frühlingswiese und Jasmin vernahm.
Jean, ihre blonde Freundin, drehte sich um und rief ihm etwas zu. Luan brauchte eine Weile, um zu realisieren, was Traum und was Wirklichkeit war. Erst, als auch Joyce zu ihm sah und etwas anderes als in seinen Vorstellungen sagte, riss es ihn in die Wirklichkeit und auf den schmuddeligen Sitz im Bus zurück. Diese Situation war ihm sichtlich unangenehm. Er musste wie ein Trottel ausgesehen haben, als er es endlich realisierte.
»Geht´s dir gut?«, fragte Joyce.
Luan war sprachlos. Sie redete tatsächlich mit ihm. Das erste Mal. Er wich ihren Blicken aus, riss sich zusammen und sah wieder zu ihr. Was hatte sie gesagt? Der Duft von Jasmin wandelte sich langsam in den stickigen, typischen Geruch des Busses.
»Was?«, fragte er und fand es unangemessen und blöd.
»Hast du die Hausaufgabe für morgen schon gemacht?«
»Welche ... Die ... Du meinst Geschichte?« Nervös wühlte er zwischen seinen Heftern.
Joyce kicherte. »Ja, Blödmann. Natürlich meine ich Geschichte. Die Vorherrschaft in Nordamerika dreiunddreißig. Hast du das fertig?«
»Klar. Hatten wir doch lange genug auf.«
»Kannst du mir das mal borgen?«
Luan schlug die entsprechende Seite in seinem Hefter auf und reichte ihn über die Sitzreihe. »Klar. Hier.«
Erst jetzt wurde ihm bewusst, was er gerade tat.
Joyce nahm ihn entgegen und sagte: »Danke, Layne. Das ist lieb von dir.«
Sie kannte nicht einmal seinen Namen. Augenblicklich bereute Luan, dass er seinen Hefter herausgegeben hatte. Innerlich fluchte er so laut, dass er Angst hatte, sie könnten seine Gedanken hören. Er wusste, dass er seinem Hefter ewig hinterherlaufen konnte, wenn er ihn nicht gleich abschreiben würde. Irgendetwas schnürte seine Kehle zusammen und kettete ihn bewegungslos an den Sitz. Es war jedes Mal das Gleiche, wenn Joyce in der Nähe war. Sein Handeln verlor die sonst übliche Logik, seine Worte würfelte es wirr durcheinander und selbst seine Bewegungen schienen unkontrolliert zu werden. Er war nicht imstande, diese Sache auf der Stelle zu klären. Mit Wut auf sich selbst sah er aus dem Fenster.
An der übernächsten Haltestelle erhob er sich, winkte den Mädchen gehemmt zu und tadelte sich deswegen erneut.
Er stieg aus.
Bis zu seinem Elternhaus waren es nur einige Schritte von der Haltestelle. Das Haus war grau, schmal und klein wie alle Häuser der Straße. Manche davon hatten eine überdachte Veranda, die so klein war, dass sie bereits zwei Stühle weitestgehend füllen konnten. Immerhin hatten sie auch eine solche Terrasse, die mit üppigen Blumenkästen und einem schmalen Holzbalken unter dem Fenster vollgestellt war, auf dem man recht gut sitzen konnte. Darauf standen eine leere Weinflasche und zwei Gläser. Das war ein sicheres Zeichen dafür, dass seine Eltern in der letzten Nacht lange miteinander geredet hatten. In letzter Zeit standen des Öfteren die Gläser vor dem Fenster.
Er mochte seine Eltern. Beide waren fleißig und kümmerten sich um die vielen Dinge im Job, in der Nachbarschaft, im Kirchenverein und ihrem Leben. Und abends, wenn der Tag vorüber war, setzten sie sich zusammen und redeten. In letzter Zeit redeten sie sehr viel. Das war ein Indiz dafür, dass es irgendwelche Probleme gab, von der Luan bisher nichts mitbekommen hatte.
Er nahm die Gläser und die Flasche mit ins Haus, dachte wieder an Joyce und seinen Hefter und ärgerte sich über sich selbst, wie dämlich er sich jedes Mal benahm, wenn sie in seiner Nähe war. Vielleicht wäre es besser, sie einfach zu ignorieren. Was sollte auch das coolste Mädchen der Uni ausgerechnet mit ihm anfangen?
Die Haustür schleuderte mit einem Knall ins Schloss.
Gegen neun Uhr fand er sich an diesem Abend zur Party bei Selina ein. Er hatte sich chic gemacht, seinen dunklen Blazer angezogen und extra die Haare gewaschen und nach hinten gekämmt. Die meiste Zeit des Nachmittags hatte er jedoch damit verbracht, seine neusten Kreationen von Keksen und Pralinen herzustellen. Mit neuen Gewürzen, gesüßtem Panela und selbst gemachten Kuvertüren experimentierte er so lange, bis die Pralinen nicht nur perfekt aussahen, sondern auch köstlich schmeckten. Die erlesensten davon hatte er in einen handgemachten Tonkarton gelegt, gut gepolstert und mit Geschenkpapier kunstvoll eingewickelt.
Dieses Mitbringsel überreichte Luan dem Geburtstagskind, nachdem Selina die Tür geöffnet hatte.
»Happy Birthday.«
»Du bist der Junge aus dem Soziologiekurs. Stimmt´s?« Sie war ein kleines, attraktives Mädchen mit südländischem Touch. Luan fand sie attraktiv, hatte aber nichts weiter mit ihr zu schaffen.
Sie nahm das Geschenk entgegen und stellte es achtlos neben den Eingang auf eine Kommode.
»Genau. Drittes Semester.« Bevor eine peinliche Pause entstehen konnte, sagte er rasch: »Ist ja schon einiges bei dir los.«
»Komm rein.«
Sie trat zur Seite, um ihn durchzulassen. Hinter ihm begrüßte sie die nächsten Gäste.
Drinnen war die Party bereits in vollem Gange. Der Flur war übervoll von Mädchen und Jungs. Die meisten davon kannte er flüchtig aus der Uni. Laute Musik hämmerte durch das Haus. Aus dem Wohnzimmer glitzerten grelle Strahlen einer Discokugel, dazwischen zuckten bunte Lichter.
Luan stand etwas hilflos neben der Tür und hielt Ausschau nach jemandem, dem er sich anschließen konnte.
Ein Mädchen in adrettem Kostüm im Dreißigerjahre-Stil rammte ihn rücklings und trat außerdem hart auf seine Zehen. Dicht dahinter folgte ihr ein Junge im Anzug, der sie fortwährend zurückstieß. Sie alberten herum, sie kicherte.
Als sie Luan bemerkte, drehte sie sich um und lächelte bekifft. »Sorry.«
»Ja, du mich auch«, dachte Luan, wich den beiden aus und stellte sich etwas neben die Kommode.
Der Junge fasste ihr an die Hüfte, hob sie galant hoch und setzte sie auf der Kommode ab. Ihr fetter Hintern landete genau auf seiner Pralinenschachtel. Wild begann er, ihr an die Wäsche zu gehen. Sie schien es zu genießen, denn sie stöhnte dabei, riss ihm das Hemd auf und küsste ihn leidenschaftlich oder vielleicht auch nur im Rausch der Drogen. Luan verfolgte widerstrebend, wie ihre Münder aneinander rieben, suchte vergebens nach Zeichen der wahren Liebe und senkte seinen Blick auf ihren Hintern und die Hände, die wild an ihr kneteten. Darunter walzte sie seine Pralinen in wilden Bewegungen platt.
Ihn drängte es danach, seine Pralinen vor der zerstörerischen Kraft der Dampfwalze zu retten. Luan zögerte. Aber er wollte nicht den Anschein erwecken, nach ihrem Hintern zu greifen.
Als sie aufsprang, löste sich das Problem von selbst, noch bevor er eine Entscheidung treffen musste. Die Schachtel rutschte zur Seite und stürzte von der Kommode. Sie landete auf dem Boden und wurde von ihr unwissentlich zertrampelt. Die beiden gingen weiter und hinterließen seine Kekse und edlen Pralinen verteilt auf dem Läufer. Luan sah ihnen hinterher, dann wieder auf die kläglichen Überreste von knapp vier Stunden Arbeit.
»Hier, nimm.« Brandon hielt ihm ein randvolles Cocktailglas entgegen.
Schwungvoll schwappte die Flüssigkeit über den Rand. Die Eiswürfel darin ritten auf den Wellen.
Brandon hatte sich die blonden Haare zu einer leichten Tolle nach hinten gekämmt.
»Philip hat Joints besorgt. Wie wär´s, Alter?« Kumpelhaft umarmte er ihn und hielt ihm einen davon entgegen.
Luan schälte sich aus seiner Umarmung und winkte möglichst lässig ab. »Später vielleicht. Hast du irgendwo Joyce gesehen? Sie hat noch etwas von mir.«
Er musste laut reden, um die Musik zu übertönen.
»Ja. Hinten, am Pool.« Er zeigte zum Wohnzimmer. »Gerade durch und in den Garten.«
In diesem Moment wurde Brandon von Thackeray weggezogen, der ihm etwas ins Ohr schrie, was im Gitarrenrock von »Are you gonna be my girl« unterging.
Brandon drehte sich noch einmal zu Luan und sagte laut: »Wir sehen uns an der Bar.«
Die beiden verschwanden im Raum hinter der Treppe.
Luan zwängte sich durch die Menge. Möglicherweise war an diesem Abend sogar der richtige Moment, um Joyce seine Liebe zu gestehen. Der Alkohol könnte ihm dabei helfen, die richtigen Worte zu finden, und sie war vielleicht offener, ihm zuzuhören. Er nahm einen kräftigen Schluck und drängte sich in die Partyhöhle. Sein Glas hielt er hoch über die Köpfe der Leute.
Das Wohnzimmer war sehr geräumig. Sie hatten in der Mitte eine Tanzfläche eingerichtet, die gut genutzt wurde. Er schob sich hindurch und fand den besten Weg dicht an der Wand, vorbei an den großen Lautsprechern. Auf dem Sofa knutschte ein Paar. Sie hatte Konfetti im Haar und küsste ihn am Hals. Währenddessen zog er an einer Zigarette, als ob es ihn langweilen würde.
Die angenehm laue Abendluft vor der weit aufgeschobenen Glasfront war wie eine rettende Insel für Luan. Er sah in den klaren Sternenhimmel hinauf. Die Bäume wogen sich sanft im Wind und warfen lange Schatten von den vielen kugelrunden Lichtern, die um den großen Swimmingpool erstrahlten.
Selina wohnte traumhaft. Das Grundstück erschien ihm fast so groß wie der komplette Straßenzug des Rosewood Drive. Alle Liegen waren mit Liebespaaren besetzt. Auf einer davon lag Jean, auf der daneben Joyce. In diesem Augenblick versenkte sie ihre Zunge im Mund eines »First Years«-Studenten und bearbeitete gierig seinen Schritt.
Luan rümpfte ein wenig die Nase und trank nervös einen Schluck vom Cocktail. Dabei wurde er von jemandem am Arm gerammt, der auf die Veranda kam. Das braune Getränk ergoss sich über sein Kinn, sein hellgrünes Hemd und das Sakko.
»Pass doch auf, Mann«, rief er dem Idioten hinterher, der es wahrscheinlich überhaupt nicht mitbekommen hatte. Luan streifte sich mit dem Ärmel das Gesicht trocken und wischte die Kleidung ab, was nichts weiter bewirkte, als es zusätzlich zu verteilen. Aufgebracht schnaubte Luan. Der Abend war ohnehin gelaufen. Irgendwie lief alles schief und er kam sich vor wie ein Loser, der auf dieser Party nichts zu suchen hatte. Wahrscheinlich würde er nie ein Mädchen bekommen. Und wenn er sich so umsah, wollten sie ohnehin nur das Eine. Irgendwie fühlte er sich wie ein Relikt, weil er noch daran glaubte, dass es doch noch irgendwo dort draußen die wahre Liebe gab.
Er ging ein paar Schritte in den Garten, bog dann in den Weg zum Pavillon hinunter ein und blieb abseits der Gäste in der Dunkelheit stehen. Vor den Rosenstauden lehnte er sich an eine Steinsäule. Der Rhythmus hämmerte gedämpft. Ganz bewusst atmete er wie befreit. Sein Brustkorb hob und senkte sich deutlich sichtbar. Der Himmel war wunderschön in dieser Nacht.
Luan nippte von seinem Drink und stellte das Glas neben sich auf einer steinernen Bank ab. Eine Sternschnuppe raste über den Himmel. Zunächst war es ein winziger, heller Punkt, der aus dem All auf die Erde zuraste und wahrscheinlich gleich verglühen würde.
Er überlegte, schloss seine Augen und wünschte sich etwas: »Ich wünsche mir ein Mädchen, das mich wahrnimmt, mich versteht und das ich lieben kann und das mich ebenso liebt wie ich sie. Eine Liebe, die nie vergeht, solange wir leben. Das ist alles, was ich will.«
Als er die Augen wieder öffnete, war die Sternschnuppe noch immer da. Sie wirkte jetzt größer und flog ungefähr auf ihn zu. Ohne die Augen abzuwenden, ging er ihr langsam entgegen. Die Sternschnuppe verglühte noch immer nicht. Vielleicht war es eine Raumsonde, ein Satellit oder etwas Ähnliches? Nach der Flugbahn zu urteilen, steuerte das Ding jedenfalls auf Lancaster zu.
Noch bevor er es richtig realisierte, preschte die Sternschnuppe hinter die Bäume im Lancaster Community Park. Die Umrisse des Wäldchens erstrahlten hell und erloschen gleich darauf. Es war ganz in seiner Nähe.
Luan rannte los.
Er stieg über die Grenzmauer, eilte die Wiese entlang, über die Abbeyville Road und ein angrenzendes Grundstück. Dahinter lag der Park. Schnell fegte Luan über die Straße und blickte sich kurz um. Von hier konnte er nichts Außergewöhnliches feststellen außer den entfernten Straßenlaternen hinter dem Park, die lediglich die Umrisse von Blättern und Bäumen im Gegenlicht zeigten. Aber irgendwo hier musste etwas auf die Erde gefallen sein.
Luan rannte weiter über das Baseballfeld in das Wäldchen und sah sich wieder um.
Nichts. Hier war nichts Auffälliges zu sehen. Er hörte in der Ferne ein Auto hupen und Stimmen. Dann kehrte die Stille der Nacht zurück. Luan sah durch die Zweige zum klaren Himmel auf und betrachtete eine Weile den Mond. Er spendete ihm ausreichend Licht in der Dunkelheit, um zu erkennen, wo er hintrat. Aber nicht nur das war dort oben zu sehen. In etwa fünfzehn Meter Höhe glühten die Spitzen mehrerer Äste, die eine Schneise bildeten und ihm den Weg wiesen.
Langsam folgte er der Spur und kam zu der Stelle, an der dieses Ding durch die Bäume geschlagen war. Unweit vor ihm qualmte der Boden. Es hatte eine Kuhle von drei bis vier Metern Durchmesser ins Erdreich geschlagen und die Erde drum herum aufgewühlt. Im Kern des kleinen Kraters lagen auf einer leichten Erhöhung heruntergefallene, verkohlte und glühende Äste und Blätter. Daneben befanden sich verbranntes Laub und Gras.
Vorsichtig stieg Luan über den dampfenden Rand, löschte ein glimmendes Stöckchen und hielt eine flache Hand prüfend über den Boden. Die Erde und die Steine waren heiß. In der Mitte des Kraters schob er die Asche beiseite und entdeckte darunter ein graues, unförmiges Ding, das aussah wie ein Findling. Er war etwa einen Meter groß und schien nichts Besonderes zu sein. Etwas enttäuscht, dass es keine Raumkapsel war, berührte er behutsam den Stein. Schließlich wollte er sich nicht verbrennen. Obwohl die Oberfläche nicht mehr heiß war, zuckte er so stark zurück, dass er nach hinten umfiel und auf dem Hosenboden landete. Denn damit, dass die Hülle des Findlings nachgab und definitiv weich war, hatte er nicht gerechnet.
Schnell erhob er sich von der heißen Erde, streifte seine rußigen Hände an der Hose ab und betrachtete, noch immer hockend, dieses Ding. Aus diesem Blickwinkel sah der Komet irgendwie wie ein Mensch aus, der sich zusammengerollt hatte. Skeptisch näherte er sich erneut dem schwarz-grauen Gebilde. Selbst aus der Nähe bekräftigte es seine Vermutung. Vor ihm lag weder ein Komet noch ein Stein. Das, was er hier gefunden hatte, war eine junge, völlig nackte Frau. Auf ihrer Haut hatten sich Erde und Asche eingebrannt und ihre Haare bestanden aus sandigen Strähnen. Gegen das Licht erkannte Luan schwach die Bewegung des Lebens.
Aufgeregt sprang er auf, sah in Richtung Straße und wieder zu ihr und in den dunklen Park hinein. Er war alleine. Niemand befand sich in der Nähe, den er zu Hilfe holen konnte. Noch einmal musste er sich von seiner Entdeckung überzeugen und berührte sie mit einem Finger. Es war noch immer und zweifelsfrei eine Frau. Doch was konnte er jetzt unternehmen? Beinahe panisch drehte er sich im Kreis, zog sein Sakko aus und legte es über ihren Körper. Dann griff er nach seinem Handy und überlegte, wen er anrufen könnte. Die Notrufnummer fiel ihm als Erstes ein. Er begann zu wählen und stockte, bevor er die letzte Zahl eingab. Sie würden einen Krankenwagen schicken und vielleicht die Feuerwehr oder die Polizei. Doch was würde er den Beamten erzählen? Dass sie vom Himmel gefallen war? Dass sie eine Sternschnuppe, ein abgestürzter Komet war, den ausgerechnet er im Lancaster Community Park gefunden hatte? Sie würden denken, dass er ihr etwas angetan hätte und es würde keine Zeugen geben, die auf seiner Seite stehen würden. Doch konnte er nicht einfach weglaufen. Sie brauchte Hilfe. So viel stand fest.
Zunächst schob er das Telefon zurück in seine Tasche und hockte sich erneut vor sie hin. Er musste herausfinden, ob ihr zu helfen war. Vielleicht konnte er sehen, was ihr fehlte.
Deswegen berührte er ihre Schulter und sagte: »Hey!«
Sie reagierte nicht.
»Kannst du reden? Wie geht es dir?« Sofort bereute er seine Worte. Wie konnte er nur so dämlich fragen, wie es ihr ging? Wie sollte es einem schon gehen, wenn man knapp von einem Kometen erschlagen worden war? »Blöde Frage«, tadelte er sich selbst und wurde durch ihr leises Stöhnen aus seinen Selbstzweifeln gerissen.
Wieder beugte er sich über sie, legte das Sakko über ihren nackten Po und versuchte es erneut: »Sag doch etwas.«
Sie hatte keine sichtbaren Verletzungen. Aber vielleicht lagen ihre Wunden auch nur unter der dicken Schicht Ruß. Es war schlicht zu dunkel, um vernünftig etwas zu sehen. »Ich weiß nicht, was man in so einer Situation macht. Hilf mir doch und sage irgendetwas.«
Sie antwortete nicht.
Ihm fiel nichts Konstruktives ein. Er könnte einfach gehen und so tun, als ob er nichts gesehen hätte. Er brauchte schließlich niemandem etwas davon zu erzählen. Aufgewühlt ging er um sie herum, kratzte sich am Nacken und sah in ihr Gesicht.
Diese junge Frau hatte er nie zuvor gesehen. Sie musste um die zwanzig sein, wahrscheinlich jünger. Unter dem Ruß und dem eingebrannten Sand auf ihrer Haut erahnte er im Mondschein ihr wunderschönes Gesicht. Ihre Aura war greifbar, wie er es nie zuvor bei jemandem gespürt hatte. Luan hatte den Eindruck, dass sie tieftraurig war, doch unglaublich stark und stolz. Er wusste nicht, wie er auf solche Gedanken kam, und konnte sich seine Rückschlüsse oder Gefühle nicht ansatzweise erklären.
Aus den Augenwinkeln erkannte er eine Bewegung neben dem Krater. Doch als er hinsah, war alles normal und ruhig. Kurz zweifelte Luan an sich, weil er sich einbildete, an dieser Stelle noch vor ein paar Minuten verbranntes Gras gesehen zu haben, wo nun auffällig frisches, hellgrünes Gras wuchs. Das konnte natürlich nicht sein.
Er ging wieder um sie herum und griff kurz entschlossen unter ihren Körper und stemmte sie hoch. Sie war leicht und bereitete ihm kaum Probleme. Rasch trug er die junge Frau aus dem Wald und durch den Park und lief mit ihr, so schnell er konnte, durch die Nacht bis nach Hause zum Rosewood Drive.
Außer Puste stieß er die Tür mit dem Fuß auf, wuchtete sie wieder ordentlich auf seine Arme und rannte über den Flur nach oben in sein Zimmer. Behutsam legte er sie auf dem Bett ab und keuchte.
Von unten hörte er seine Mutter: »Du hast die Haustür vergessen. Wieso muss ich dir immer hinterherlaufen? Wasch dir die Hände, ich habe noch Abendbrot übrig.«
Luan schloss seine Zimmertür und kniete sich vor das Bett. Etwas Erde und Sand waren von ihr abgefallen und verteilten sich darauf. Sie sah nicht verwundet aus. Vielleicht hatte sie nur einen fürchterlichen Schock erlitten, weil sie viel zu dicht an dem Kometen gestanden hatte. Aber wo waren ihre Kleider? Zunächst einmal musste er ihr den Ruß aus dem Gesicht waschen, um zu sehen, ob ihre Haut in Ordnung war oder sie Verbrennungen erlitten hatte.
Geschwind raste er aus dem Zimmer und kam kurz darauf mit einer Schüssel Wasser und einem Lappen zurück. Kräftig wrang er den Lappen aus und begann vorsichtig, ihr Gesicht abzutupfen. Unter der grauen Schicht verbarg sich eine reine, makellose Haut. Also machte er weiter und legte ihre Wange und die Nase frei, dann den Mund, die Augenpartie und die Stirn.
Sie hatte keinerlei Verbrennungen oder blaue Flecken. Alles war genau so, wie es sein sollte. Sogar noch ein wenig besser. Ihr wunderschönes Gesicht besaß kein einziges Fältchen und keinen noch so winzigen Kratzer. Also drehte er vorsichtig ihren Kopf herum und machte auf der anderen Seite weiter. Der Sand löste sich nur schlecht aus ihren Haaren. Wie Beton schloss er sich darum und ließ sich nur langsam aufweichen. Immerhin konnte er an den Ansätzen schon ein paar lichtblonde Strähnen freilegen.
Zu keinem Moment öffnete sie ihre Augen oder machte Anstalten zu erwachen. Bevor er die Zudecke über sie legte, tastete er grob mit seinen Blicken ihren Körper nach Verletzungen ab. Aber selbst im Licht konnte er noch immer nichts Auffälliges entdecken außer viel Ruß und Sand.
»Bitte, stirb mir nicht, kleine Frau. Was ist dir nur zugestoßen? Weißt du, für einen Moment habe ich im Wäldchen gedacht, dass du der Komet warst. Ist das nicht lächerlich? Ich denke, du hattest echt Glück. Ein paar Meter weiter und du wärst von dem Angriff aus dem Weltall getroffen und gegrillt worden. Die Welt ist schon verrückt.«
Er sah sie lange an, bis er sich vor das Bett setzte. Leise redete er weiter. Er redete mit ihr oder mit sich selbst. Dessen war er sich nicht ganz bewusst. Aber es tat gut zu reden und er hoffte, dass sie ihn hören und endlich erwachen würde.
»Ich rannte wegen des Kometen von der Party weg. Sicher feiern sie noch immer. Und Joyce macht noch mit diesem blöden Kerl rum. Ich denke, sie ist nichts für mich. Sie ist es nicht wert, dass ich ihr mein Herz öffne. Das ist mir heute bewusst geworden.«
Er betrachtete den Ruß an seinen Fingern und versuchte ihn an der Hose und anschließend am Teppichläufer abzustreifen. Doch der Schmutz war hartnäckig.
»Du wirst eine ganze Weile brauchen, um dich zu waschen. Wenn du nur etwas sagen würdest. Ich mache mir echt Sorgen.« Er machte es sich bequem und streckte die Beine aus. »Bisher hatte ich noch nie ein Mädchen in meinem Bett.« Luan schmunzelte sanft. »Das erste Mal hatte ich mir irgendwie anders vorgestellt. Ich hoffe so sehr, dass du bald wieder auf die Beine kommst.«
Die Zeiger der Uhr drehten ihre Runden. Luan erzählte ihr von seiner Kindheit, den Unterrichtsstunden mit Burnsfield und von seinen ersten Fahrversuchen mit dem Firmenwagen seines Vaters. Er erinnerte sich an die Zeit, als er Baseball gespielt und seine Mannschaft stets versagt hatte. Sie waren vermutlich so schlecht gewesen wie keine andere Mannschaft vor ihnen und vermutlich würde auch nie wieder eine Mannschaft so schlecht spielen, wie sie es seinerzeit getan hatten. Doch er erzählte es so, als ob es ihm nichts ausgemacht hätte. Viel schlimmer war es für ihn, damals aufgegeben zu haben. Dieser Tag hatte sein Leben verändert. Luan dachte in dieser Nacht das erste Mal richtig darüber nach.
Ihm kam es so vor, als ob er noch niemals zuvor so viel geredet hatte. Und schon gar nicht über sich selbst. Irgendwann fielen ihm die Augenlider zu. Gerade noch lauschte er auf ihr gleichmäßiges Atmen, als die Stunden der Nacht seine Sinne übernahmen.