Was würdest du dir wünschen, wenn du einen Wunsch frei hast?
Noch vor ihrem 18. Geburtstag muss Amy Graham ihr Elternhaus verlassen. Auf dem Weg zu ihrem unbekannten Großvater wird sie brutal vergewaltigt. Darauf versteckt sie schwere Depressionen hinter einer quirligen, offenherzigen Art, die die Menschen um sie herum tief berührt. Doch niemand erkennt ihren Schmerz, außer einem Fremden, der jeden Tag für genau eine Stunde aus einer längst vergessenen Zeit zu ihr kommt.„Wenn ein Mädchen zur Frau wird, oder ein Junge zum Mann, dann bilden sich Synapsen, die mit neuer Lebensenergie den Geist im Wandel der Dualität vollenden. Wird dieser Moment unterbrochen, dann befindet sich deine Seele außerhalb der Ordnung aller Dinge."
Thriller, Fantasy, Liebe, Lebensgeschichte, Rache
Taschenbuch, 346 Seiten ISBN: 978-3960501305 (auch als EBook erhältlich)
Taschenbuch
eBook
Der Autor Perry Payne hat mit seinem aktuellen Roman Für eine Stunde einen Nerv getroffen. Leserinnen und Leser zeigen sich gleichermaßen bewegt und beeindruckt von der Geschichte um die junge Amy, die trotz schwerer Schicksalsschläge niemals aufgibt.
„Das bisher beste Buch von Perry Payne“, „traurig, als es schon zu Ende war“ oder „hat mich noch lange danach nicht losgelassen“ – so lauten nur einige der zahlreichen Rückmeldungen. Besonders Amys Stärke und Sympathie haben viele tief berührt. Eine Leserin beschreibt den Roman als „beklemmend, erschreckend und zugleich hoffnungsvoll“ – eine Mischung, die lange nachhallt.
Auch die Fachwelt äußert sich positiv. Verlagslektorin Petra Liermann gesteht, sie hätte „noch gerne weitere 600 Seiten mit Amy verbracht“. Die Chefin des Franzius Verlags spricht von einem „grausamen, mitreißenden und gefühlvollen“ Werk, das sie nicht mehr losgelassen habe.
In Leserunden und Online-Diskussionen wird der Roman immer wieder für seine emotionale Intensität gelobt. Leserinnen und Leser berichten von einer „Achterbahnfahrt der Gefühle“ und heben hervor, dass es keine oberflächliche Liebesgeschichte ist, sondern ein Werk über Hoffnung, Freundschaft, wahre Liebe – und über eine junge Frau, die trotz aller Widrigkeiten ihren Weg findet.
Mit Für eine Stunde legt Perry Payne damit nicht nur einen weiteren spannenden Roman vor, sondern auch eine berührende Geschichte, die fesselt, bewegt und nachdenklich macht.
Thriller, Fantasy, Liebe, Lebensgeschichte, Rache
Taschenbuch, 346 Seiten ISBN: ISBN 978-3960501305		€ 16.99
 (auch als EBook erhältlich)							€   8.99
Erhältlich:	In allen namhaften Onlineshops und im regionalen Buchhandel, ganz in deiner Nähe (auf Bestellung - Lieferzeit ca. 3 Werktage)
Prolog
Amy saß auf dem flachen Dach eines Silos der ausgedienten Mühle in Sheridan, Wyoming. Das Gebäude war eines der höchsten in der kleinen Stadt. Lässig baumelten ihre Füße herunter, die Augen waren weit geöffnet. Verklebte Wimpern zeugten von zu viel Tusche und getrockneten Tränen.
Sie blinzelte kein bisschen, auch wenn der laue Herbstwind ihr ins Gesicht trieb und die Haare längst zerzaust hatte.
Amy trug einen kurzen, schwarzen Minirock und ein dürftiges, gerissenes Shirt, mit vereinzelten Glitzersteinchen auf schwarzem Stoff. Sie hatte frische Narben an ihrer Unterlippe und quer über dem Unterleib. Kaum verheilte und schmutzige Wunden überzogen ihren kleinen Körper.
Knapp zwanzig Meter unter ihren Füßen breitete sich ein verlassener Platz aus, auf dem seit vielen Jahren neben ausgespülten Kieshaufen, Maschinen und verrostete Metallteile einer alten Fabrik sich der Zeit und der Ewigkeit übergeben hatten. Zwischen den Fugen der gesprungenen Betonplatten stemmten sich Gras und die ersten Bäume hindurch und suchten ihren Weg ins Leben.
Der gesamte Platz war schmutzig, unerwünscht und längst vergessen.
Das war ein Ort, der so gut zu Amy passte.
Sie rutschte weiter an den Rand vor und stützte sich auf den staubigen Teer mit der heiß gewordenen Blechkante. Ihr Blick schweifte über den makellosen Himmel, der sich in seinem perfekten Blau für die Seele auftat. Vereinzelte Wolken trieben friedvoll vorüber. Amy nickte fast unmerklich. Sie hatte ihre Entscheidung getroffen.
Mit einem tiefem Atemzug nahm sie ein letztes Mal den Duft der abgeernteten Maisfelder und den vom warmen Teer in sich auf. Diese Gerüche waren vertraut und erinnerten sie an eine durchaus glückliche Kindheit.
Hoch oben, über der Stadt und dieser Welt fühlte es sich unendlich friedlich an. Sämtliche Probleme lagen weit entfernt in der Tiefe und verschwammen in diesem wunderschönen Augenblick zwischen den unendlichen Details in der Ferne. Amy konnte ein letztes Mal über ihre Welt und das Leben und den Tod bestimmen, und genau so sollte es sein.
Sie beugte sich noch ein weiteres Stück nach vorn, entfaltete elegant ihre Arme, sodass sie zu Flügeln wurden, und sie spürte im Rausch der Sehnsucht eine vollkommene Reinheit und die endlose Schwerelosigkeit.
Ihre Augen hielt sie geschlossen und ihre Gedanken waren frei. Nach so langer Zeit beruhigte sich ihr Geist, ihre gesprungenen Lippen zogen sich in die Breite und zeigten das letzte Mal ein sanftes Lächeln.
Vier Monate zuvor (California Western Railroad)
„Mom!“, schrie die zierliche Amy aufgebracht, wobei sich ihre Stimme überschlug. „Ich will nicht hier weg. Außerdem kenne ich Grandpa überhaupt nicht.“ Sie bekräftigte ihre Worte mit zusammengezogener Stirn und hart verschränkten Armen.
Judy, ihre Mom, fasste ihr besänftigend an die Schulter, versuchte ihre Tochter, durch die starren Augen zu erreichen, und strich ihr fürsorglich eine schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht. „Du bist wunderschön, mein Kind.“
Amy wich seitlich aus.
„Wir haben schon viel zusammen durchgestanden. Das ist kein Abschied für immer. Du musst verstehen, ...“ Fast hauchte Judy diese Worte und kam ihr etwas näher.
Wild schüttelte Amy die Zärtlichkeit ab und setzte sich mit dem Rücken an das Kopfende des Bettes. Sie hatte eine Idee. „Ich könnte bei Darren unterkommen. Das ist nicht weit von hier und ...“
„Nein!“, schnitt ihr Judy das Wort ab. „Wir haben ausführlich darüber geredet. Ich kann mich nicht über die Entscheidung des Richters hinwegsetzen, mein Schatz. Du gehst zu Grandpa, bis ich eine bessere Lösung gefunden habe.“
„Aber du zerstörst unsere kleine Familie damit, Mom.“
„Glaube nicht, dass ich mich mit dem Urteil zufriedengebe. Ich werde für uns kämpfen, genau so, wie ich es immer getan habe. Daran wird auch der Staatsanwalt nichts ändern.“
Amy senkte den Kopf und sagte resigniert: „Aber ich will nicht dorthin. Nicht zu ihm oder irgendjemand sonst.“
„Kopf hoch, mein Mädchen. Es ist nicht für immer.“ Langsam schob sie ihre Hand unter Amys Kinn und drückte ihren Kopf sanft nach oben.
„Außerdem bin ich erwachsen und kann auf mich selbst aufpassen.“ Energisch schob sie Judys Hand von sich.
„Noch nicht ganz, Kleines.“
„Aber es sind nur noch vier Monate, dann bin ich achtzehn.“ Amy hopste mit ihrem Po weiter an das Bettende. Die Matratze schaukelte ein wenig und ließ Judy dezent wippen.
„Das ist für niemanden von uns leicht. Sieh es einfach als verlängerte Ferien. Und Grandpa ist im Grunde nicht so übel. Er ist weiß Gott ein alter Sturkopf, aber du bleibst nur für kurze Zeit, bis ich hier alles geregelt habe. Dann sehen wir uns auch schon wieder. Versprich mir, brav zu sein.“ Sie versuchte, Amy einen Kuss auf die Stirn zu drücken, doch sie wich zurück und ließ sich zur Seite fallen. „Ich hasse dich.“
Rasch rutsche Judy ihr nach und strich ihr behutsam über den Arm.
„Lass mich in Ruhe“, quälte sich Amy heraus.
„Die Zeit ist schneller um, als du es merkst.“ Judy erhob sich vom Bett, zog ihre ausgeblichene Bluse glatt und ging über den pinken Plüschteppich zur Tür. Dort lehnte sie sich an den Rahmen und sah auf das Häufchen Unglück zum Bett zurück. „Ich liebe dich, egal wo du auch immer bist.“
Amy knurrte, stützte ihren Kopf auf und wischte sich mit dem anderen Handrücken über die Wange. Sie verschmierte das Make-up und bekam schwarze Striche ins Gesicht, die sie ein wenig wie eine Squaw nach einem harten Arbeitstag aussehen ließen.
„Weißt du, dass sich die ersten kleinen Sommersprossen auf deiner Nase zeigen?“, sagte Judy lächelnd und zwinkerte ihr zu.
„Was?“ Amy wirkte irritiert, aber dieser Themenwechsel heiterte sie tatsächlich ein wenig auf.
Mit dem sanften Lächeln einer liebenden Mutter winkte Judy ab. „Pack jetzt deine Tasche. Ich hole dir die Panties und dein Lieblingstuch von der Leine.“
Amy atmete schwer durch. „Aber wenn ich nicht mit ihm klarkomme, werde ich nicht dortbleiben.“
„Gib ihm eine Chance“, sagte Judy, drehte sich um und ging. Sie hatte den Kopf gesenkt und hielt ihn leicht schräg, wie immer, wenn sie nachdenklich oder traurig war.
Als die Zimmertür sachte ins Schloss fiel, rutschte Amy vom Bett herunter, ging mit hängenden Schultern zum Fenster hinüber und sah in die Wolken auf. Hoch oben waren drei Vögel zu sehen, die schwerelos und sorgenfrei ihre Kreise zogen. Alleine dieser Anblick öffnete ihre Gedanken für das Abenteuer und befreite sie ein wenig von einer Last. Sie sah sich im Zimmer um, in dem alles seinen Platz gefunden hatte und überaus vertraut war. Das war ihr zuhause, ein Ort, an dem sie aufgewachsen war, mit dem so unendlich viele Erinnerungen und Emotionen verknüpft waren und wo sie sich wohlfühlte und schlicht hingehörte.
Sie lehnte sich an die Wand, verzog keine Mine und sagte tapfer: „Also gut.“ Ihre Augen wurden zu Schlitzen, als sie nickte. „Dann wollen wir mal den alten Sack besuchen, den sonst niemand leiden kann.“
Sie schnappte sich ihren Rucksack und stopfte scheinbar wahllos die nötigsten Sachen hinein. Für einige Shirts, ein paar Hygieneartikel, eine Hose, ihren Klettergurt und die Spezialschuhe einzupacken, brauchte sie nicht einmal vier Minuten. Dann schlüpfte sie in ihren kurzen schwarzen Rock, schnürte den Rucksack zusammen und hängte ihn sich über eine Schulter. Bevor sie ihr Zimmer verließ, knotete sie noch die dünne, schwarze Jacke an den Schultergurt und schnappte sich aus dem Bücherschrank ein kleines Döschen. Die Geldscheine und das wenige Kleingeld darin hatte sie sich für Notsituationen zurückgelegt. Jetzt schien dafür der richtige Moment gekommen zu sein.
Im Flur kam ihr Mom entgegen, die ihr eine Thermoskanne und ein Lunchpaket entgegenhielt.
Abwehrend hob Amy eine Hand. „Nein. Du musst jetzt nicht mehr für mich sorgen. Ich komme alleine klar.“
„Du kannst nicht ohne Essen aus dem Haus gehen. Bis Wyoming ist es eine lange Reise.“ Sie kramte ein paar Geldscheine aus ihrer Hosentasche, die sie extra von der Bank geholt haben musste. „Das ist für die Busfahrt und etwas zu essen. Falls du in Denver übernachten musst, bezahlst du davon dein Zimmer. Und ruf mich auf jeden Fall an, sobald du angekommen bist.“ Wie immer vermochte sie es schlecht, ihre Traurigkeit mit einem Lächeln zu überspielen. Amy kannte dieses Lächeln, bei dem ein Mundwinkel zuckte und ihre Augenlider ein wenig geschlossen waren. Sie nahm die Sachen, schob den Tee in die eine Außentasche und das Sandwich in die andere. Das Geld landete in der schmalen Tasche ihres Rocks. „Schon gut.“ Flüchtig drückte Amy ihr einen Kuss auf die Wange und lief den Flur herunter, am Zimmer ihres kleinen Bruders vorbei, ging wieder zurück und sah hinein. Tom saß gerade vor seiner elektrischen Eisenbahn und ließ seine Lieblingslok summend kreisen. Sie erinnerte sich daran, wie er mit diesem originalen Nachbau der California Western Railroad #45 vor drei Jahren seine Leidenschaft für die Modelleisenbahn entdeckt hatte und musste darüber schmunzeln.
„Hey, Blödian. Was macht deine kleine Freundin aus der 4C?“ Kurz entschlossen gesellte sie sich zu ihm und strich ihm über die Haare.
„Das geht dich gar nichts an“, sagte er patzig und schob ihre Hand weg. Natürlich wusste er, dass sie gehen musste, machte Amy dafür verantwortlich. Deswegen redete schon zwei Tage nicht mehr ihr.
„Falls du mal einen Rat in Sachen Mädchen brauchst, vergiss deine große Schwester nicht zu fragen“, versuchte sie, ihn aufzubauen.
„Gehst du jetzt für immer aus Brady?“
„Nein, wir sehen uns ganz bestimmt wieder, Kleiner. Und bis dahin passt du auf unsere Mom auf und strengst dich in der Schule an.“ Aufgesetzt schmunzelte sie.
„Die Schule ist blöd. Ich gehe da nicht mehr hin.“
„Dort ist es gar nicht so übel. Das einzig Bittere daran ist, dass du diese Tatsache erst verstehst, wenn die Schulzeit vorbei ist.“ Sie küsste ihn auf die Haare. Tom ignorierte sie und schaltete unkoordiniert an der Gleisanlage herum.
„Hey, sag mir goodbye, Kleiner.“ Amy hockte sich neben ihn und stellte einen umgekippten Waggon auf die Gleise, den er wütend wieder umwarf und sich mit der kleinen Bahnhofsuhr beschäftigte.
Sie erhob sich, lächelte sanft und nahm seine Lieblingslok von der Strecke.
Wie der Blitz schoss er hoch, schrie und fuchtelte danach. „Gib das her.“
„Ich brauche etwas von dir, damit ich dich immer bei mir habe“, sagte Amy friedlich, hielt die Lok Richtung Zimmerdecke, tänzelte herum und ließ ihn schreien und hüpfen.
„Ich habe dir auch nichts weggenommen, blöde Kuh.“
„Mein Zimmer ist voll. Nimm dir, was du willst.“ Mit diesen Worten eilte sie zum Flur und Tom kam hinterher.
„Machs gut, Mom“, rief Amy entspannt durch das Haus, wich ihrem kleinen Bruder aus, hob die Lok nach vorn und wieder nach oben, damit er unmöglich rankam. Erst an der Wohnungstür sah sie ihn wieder an. „Machs gut, kleine Nervensäge. Ich werde dich vermissen.“
„Ich dich aber nicht. Gib mir meine Lok.“
Judy eilte zur Tür und folgte ihnen bis zur Veranda. Auf den verwitterten Holzdielen blieb sie schließlich stehen und sah Amy nach, wie sie das Grundstück verließ. Verhalten winkte sie ihr, als sie zurücksah und rief: „Vergiss nicht, anzurufen. Ich liebe dich.“
Obwohl der Tag noch jung war, drückte die Hitze unermüdlich und ohne einen erfrischenden Windhauch in Brady und die Texas Street herunter, wo die großen Eichen am Straßenrand ihr schattenspendendes Dach aufgespannt hatten.
Mit großen Schritten lief Amy an den ärmlichen Grundstücken vorbei und hörte hinter sich die weinerlichen Rufe von Tom: „Meine Eisenbahn. Gib sie mir zurück.“
Kurz blieb sie stehen und drehte sich um. Ihr Bruder stand mit weißen Socken am stählernen Gartentor. Er hatte Tränen in den Augen. Amy hob die Lok nach oben und sagte: „Ich werde darauf achtgeben, kleiner Bruder. Sie wird uns wieder zusammenführen.“
„Gib sie her“, schrie er in einer Mischung aus Wut und Verzweiflung.
„Versprochen, das werde ich.“
„Blöde Kuh!“ Er stampfte einige Male, und Amy winkte ihm zu und lächelte ein letztes Mal, bevor sie an der Kreuzung zur Main Street abbog und ihre Reise begann.
Sofort hob sie ihren Daumen auf der Straßenseite und hielt nach einer passenden Mitfahrgelegenheit Ausschau. Das Geld für die Busfahrt wollte sie sich sparen. Bisher kam sie bestens als Anhalterin zurecht, außerdem trampte sie lieber, weil es ihr ein Gefühl der Freiheit gab.
Amy schwang ihren Kopf herum, um die langen Haare auf die Schulter zu schleudern, und lief rückwärts neben der Fahrbahn mit gehobenem Daumen.
Jetzt kam ihr das erste Mal der Gedanke, Grandpa überhaupt nicht zu besuchen. Sie hatte diesen Mann noch nie gesehen, also könnte sie genauso gut überall anders hingehen. Was spielte das schon für eine Rolle? Also beschloss sie, genau dorthin zu fahren, wo das nächste Auto hinfahren würde, das sie mitnahm. Ihr Weg sollte unaufhaltsam von zuhause wegführen. Das hatte zumindest dieser Richter gesagt und damit über ihr Schicksal entschieden. Nur vermochte selbst ein Richter ihr nicht vorzuschreiben, was sie mit ihrem Leben anfangen sollte.
Die Sonne blendete Amy, und sie musste blinzeln. Da kein Auto in Sichtweite war, lief sie zum Ortsrand weiter. Der Gedanke an die Freiheit und ihr Abenteuer verschaffte ihr eine gewisse Selbstzufriedenheit. Voller Elan marschierte sie Richtung Brady Reservoir und die 17th Street entlang. Nur hin und wieder kamen ihr ein paar Fahrzeuge entgegen, die Luft war trocken und die Vegetation staubig und kahl. Sie sang ein Lied, eines, was sie noch nicht einmal besonders mochte. Es war ein blödes Kinderlied, das ihr gerade jetzt in den Sinn kam und sie an die Tage erinnerte, als sie in die Schule kam, oder an die Zeit davor, in der ihre Mom sie damit trösten wollte, wenn sie Kummer hatte. „Wo tuts weh? Trink ein Schlückchen Tee, iss´nen Löffel Haferbrei, morgen ist es längst vorbei!“
Kurz vor der neuen Brücke, die über einen Ausläufer des Reservoirs führte, kam ihr ein dunkelroter Ford Pick-up auf der gegenüberliegenden Fahrbahnseite entgegen. Sie erkannte darin Melindas Dad, der die Geschwindigkeit reduzierte und das Seitenfenster herunter kurbelte. Neben ihr hielt er an und grüßte freundlich: „Hey, Amy. Du hast einen großen Rucksack dabei. Wo soll es denn hingehen?“
„Vermutlich Arvada, Mister McLom.“
„Das ist ein ziemlich weiter Weg. Ich kann dich ein Stück mitnehmen, wenn du magst.“
„Nein, danke.“ Sie winkte ab und lief weiter. Lächelnd ergänzte sie: „Ich muss in die andere Richtung.“
„Das macht überhaupt nichts. Ich fahr dich ein Stück. Los, spring rein.“ Er winkte sie zu sich.
Amy blieb stehen und steckte lässig ihre Daumen unter den Schultergurt. „Wirklich, ist schon gut. Ich komme klar.“
„Ganz, wie du meinst. Dann wünsche ich dir eine gute Reise und einen schönen Tag, Amy. Grüß deine Mom von mir.“
Langsam setzte sich der Pick-up Richtung City in Bewegung. Mister McLoms Ellenbogen lehnte aus dem Seitenfenster und er sah ihr nach.
Amy richtete ihren Rucksack und strich sich einige kitzelnde Haare aus dem Gesicht. Ihr schwarzes Outfit war diesen Temperaturen nicht besonders zuträglich. Schweiß hatte sich auf ihrer Stirn gebildet und sie schmeckte den Staub der Straße. Mit der Zunge spielte sie an ihrem Lippenpiercing und sah dem Flirren der Hitze über dem Asphalt zu, das wie ein breiter Fluss aussah, der die Straße in einer Entfernung von fünfzig Metern überspült hatte. Mit großen Schritten lief sie ihrer unbekannten Zukunft entgegen.
An der Ecke South Loop hörte sie hinter sich das Brummen eines Motors. Mit ausgestelltem Daumen signalisierte sie, mitgenommen zu werden, und drehte sich erst danach um. Es war McLom, der sich mit seinem Ford langsam näherte und gleich darauf neben ihr im Schritttempo fuhr. Sie ließ ihre Hand sinken und verzog ein wenig verwundert ihre Lippen. Lässig lehnte er sich zum Seitenfenster der Beifahrerseite, grinste und sagte: „Steig ein, Mädchen. Ich habe den Nachmittag freibekommen und zu Hause wartet niemand auf mich. Ich kann dich bis zur Staatsgrenze bringen. Also, was sagst du?“
„Das ist wirklich freundlich von Ihnen, aber ich laufe gerne.“ Sie hatte ein ungutes Gefühl und beschleunigte ihre Schritte.
„Hattest du zu Hause Stress? Warum willst du weg?“
„Haben Sie nichts von der Verhandlung mitbekommen?“
„Nur soviel, dass das Sorgerecht nach der Trennung und den Saufpartys geklärt werden soll. Oh, verzeih. Ich wollte Missis Graham nicht zu nahe treten, aber meiner Meinung nach hat sie schon immer zu tief in die Flasche gesehen. Sie hätte besser auf ihren Mann und die Kinder achten müssen.“
„Was wissen Sie schon darüber? Sie kennen uns nicht.“ Amy zog die Augenbrauen zusammen.
„Los, steig ein. Bis Needle Creek gibt es weder etwas zu essen noch zu trinken, und bei dieser Hitze kann das ein verdammt langer Weg werden.“
„Danke“, sagte sie schnippisch. „Ich habe genug dabei. Sie müssen mich nicht fahren.“
Egal, wie schnell sie lief, er hielt ihre Geschwindigkeit exakt.
„Ich meine es ja nur gut mit dir. Pass auf dich auf. So ein schönes Mädchen sollte nicht alleine hier draußen unterwegs sein.“
Sie brummte genervt und beschleunigte weiter. Dann gab er kurz Gas, überholte sie, scherte harsch vor ihr ein und blieb stehen. Sie hörte die Handbremse knacken und sah eine Staubwolke über der Motorhaube tanzen.
Amy trat zur Seite und wich in den Straßengraben aus, flitzte um den Pic-up herum und lief Mister McLom in die ausgebreiteten Arme. Energisch trat sie zurück, bevor er sie berühren konnte, und machte erst einen Schritt nach rechts, dann einen nach links. Mister McLom spiegelte ihre Bewegungen und versperrte den Weg.
Die grelle Sonne glühte unerbittlich und es roch nach heißem Asphalt, Straßenstaub und Motoröl. Dicke Schweißtropfen auf seiner faltigen, sonnengegerbten Stirn funkelten im Gegenlicht. Er wirkte angespannt und machte ihr Angst. Im Abstand von zwei Schritten verschränkte sie ihre Arme und stellte sich breitbeinig auf. „Kann ich jetzt durch?“
Er lehnte sich an das Auto, stemmte lässig eine Hand in die Hüfte und schüttelte mit dem Kopf. „Ich kann dich in dieser Hitze nicht den weiten Weg gehen lassen. Wir wollen doch nicht, dass dir etwas passiert, oder? Wie wäre es mit einer eiskalten Cola bei Len? Ich lade dich ein. Na, was hältst du davon, Amy?“
„Bitte, Mister. Lassen Sie mich einfach vorbei.“
Aus Richtung Brady kam ein alter Transporter gefahren. Mister McLom sah ihn, stellte sich aufrecht und beobachtete ihn mit verschränkten Armen.
Amy nutzte den Augenblick, lief um den Pick-up herum und eilte zügig die schnurgerade 17th Street entlang. Kurz sah sie über ihre Schulter zurück. Das Auto war vorbeigefahren, er hatte flüchtig gegrüßt und wandte sich an Amy: „Warte doch, Mädchen!“ Flink lief McLom ihr nach.
Amy beschleunigte und auch er wurde schneller. Dann begann sie zu rennen. Ihr Rucksack sprang auf ihrem Rücken wild hin und her und sie spürte die Steinchen unter ihren Sohlen.
Arg wurde sie am Arm gegriffen und herumgezerrt. Amy wehrte sich, schlug unkontrolliert nach hinten, landete irgendwo in seinem Gesicht einen Treffer, dass er schrie und von ihr abließ. Ohne sich umzudrehen, rannte sie die Straße weiter.
Kaum jemand war hier draußen unterwegs. Brady lag weit hinter ihnen und die kargen Felder begrenzten den heißen Asphalt.
Schweiß rann ihr die Schläfen herunter und ihr Herz hüfte wild in der Brust. Sie wollte nur weg und rannte, so schnell sie die Füße trugen. Hinter sich hörte sie sein Hecheln und die schweren, langen Schritte.
Nochmals wurde sie von einem heftigen Ruck an ihrem Arm herumgerissen und verlor das Gleichgewicht. Mit den Händen fing sie den Sturz auf der Straße ab, spürte die Schmerzen am rechten Handballen und den Knien und rollte sich flink zur Seite. Er stand über ihr und sie schrie ihn an: „Was wollen Sie von mir, Mister?“
„Ganz ruhig, Kleine. Wie ich das sehe, können wir beide ein wenig Abwechslung gebrauchen.“
Gegen ihn wirkte Amy besonders zierlich. Er griff nach ihrem Rucksack und zerrte sie zum Wagen zurück. Rücklings, wie ein Krebs versuchte sie ihn abzuwehren, strauchelte und stürzte. Mit der Kraft eines gestandenen Cops zerrte er sie über den trockenen Boden bis zu seinem Auto zurück. Sie spürte die Steine unter den Handflächen und schrammte sich die Ellenbogen auf. Ihr Rock wurde nach hinten geschoben und gab den schwarzen String frei, und ihre Pobacken, die auf dem Asphalt zu schmerzen begannen. Sie schrie und sträubte sich heftig unter dem starken Griff, verletzte sich eine Hand an einem Kiesel und spürte, wie sich die Steinchen in ihren Schuhen sammelten, mit denen sie immer wieder versuchte, sich dagegen zu stemmen. Außer sich und angsterfüllt wedelten ihre Arme umher und sie drehte sich, rollte zur Seite und konnte einen Arm aus dem Gurt ihres Rucksacks ziehen. Dann folgte der zweite Arm und sie war frei. Im gleichen Moment richtete sie sich auf, ignorierte die Schmerzen, sprang über den Graben und rannte auf das Feld zu. Sie röchelte nach Luft, war außer sich und panisch. Nur weg hier, dachte sie und ließ ihre Füße über die trockene Erde fliegen.
„Stehenbleiben!“, schrie er mit entstellter Stimme entfernt und wütend hinter ihr.
Amy lief um ihr Leben. Laufen, nur laufen. Weg von hier. Ich muss weg!, sagte sie sich immer wieder und japste nach Luft. Sie spürte ihre Beine nicht mehr, die alles gaben, mehr, als sie vermochten und ihre Lunge, die wie ein Dampfkessel auf Höchstleistungen lief. Dann hörte sie ihn nicht mehr hinter sich und rannte dennoch weiter und drehte sich kurz um. McLom ging, mit ihrem Rücksack in der Hand, langsam zu seinem Auto zurückging.
Sie richtete ihren Fokus wieder nach vorn. Dort, hinter dem Feld und der Baumreihe schloss eine alte Farm an. Das war ihr Ziel. Weg hier, dachte sie noch intensiver, wobei selbst ihre Gedanken nach Sauerstoff zu lechzen schienen. Unter ihren flinken Füßen wirbelte der feine Staub auf.
Die Entfernung bis zum Feldweg und den Bäumen wollte einfach nicht abnehmen. Die Felder vor den Toren Bradys waren riesig, sie waren sogar größer als gedacht, die Sonne heißer und ihre eigenen Kräfte bescheidener. Schon spürte sie ihre Beine nicht mehr, die sich nur noch in wilder Routine wie von selbst bewegten. Die Lippen waren trocken und der Blick wurde unklar. Die Luft blieb ihr weg. Egal, wie sehr sie danach gierte, es war nicht genug Sauerstoff in der Luft, zu wenig, um bei klarem Verstand zu bleiben. Bis zur Farm würde sie unmöglich dieses Tempo durchhalten können. Sie würde sterben. Auf der Stelle. Genau hier, im Dreck der Vorstadt.
Amy blieb stehen und stützte sich mit den Händen auf ihre blutenden Knie. Sie hechelte und ließ die Schweißperlen abtropfen, die bereits auf der feinen, grauen Erde verdampften, bevor sie richtig angekommen waren. Vor ihr lag noch etwa eine halbe Meile. Dann war sie in Sicherheit und könnte verschnaufen.
Das Geräusch eines Motors war hinter ihr zu hören.
Amy rannte weiter.
Wie erwartet war es der Pick-up von McLom, der ihr quer über das Feld folgte, holperte und eine dicke Staubwolke aufwirbelte.
Nein, dachte sie und aktivierte ihre letzten Kräfte. Bitte, nein!
Die laute Hupe dicht hinter ihr brachte sie aus dem Rhythmus der Bewegungen. Er schrie etwas, aber Amy verstand seine Worte nicht.
Sie schmeckte Schweiß auf den Lippen, und der Sand knirschte zwischen den Zähnen. Ihr Körper schien mit jedem Schritt schwerer zu werden und die Beine und ihre Lunge begannen einen wirklich unpassenden Streik anzukündigen.
Nochmals zerschnitt das Dröhnen der Hupe die Ebene. Sie sah zurück. McLom war nur ein paar Meter entfernt, holte nicht auf, wollte sie vor sich hertreiben, wie auf der Jagd, bis sie zusammenbrechen würde.
Ihr Fuß stoppte an einem Stein, sie stolperte, fing sich rudernd ab und fand ihren Laufrhythmus zurück. Der war längst nicht mehr kraftvoll und nur noch getrieben von der unsäglichen Angst.
Ungefähr zweihundert Meter bis zum Feldweg lagen noch vor ihr. Diese Distanz schien nun bis zum Horizont zu reichen und wieder zurück. Die Farm würde sie nicht erreichen. Sie war am Ende.
Das schreiende Geräusch der Hupe kam schon fast aus ihrem Rücken, und sie spürte die Hitze und die Vibration des Motors in ihrem Magen, als wären sie in ihr und würden sie von innen malträtieren und langsam zerfressen.
Etwa fünfzig Meter vor der Baumreihe am Weg brach Amy auf dem staubigen Boden zusammen. Sie erkannte noch den Zaun und sah einen Schäferhund auf dem Grundstück gegenüber, bevor sich eine dichte Staubwolke über sie legte und sie an den Haaren gegriffen wurde.
Ihre entsetzlichen Schreie trieben über das Feld bis zur Main Street, bis sie im qualvollen Grauen verstummten.