Was würdest du dir wünschen, wenn du einen Wunsch frei hast?
Ungewöhnliche Dinge passieren im verschlafenen Städtchen Moran in Wyoming. Immer mehr Menschen sterben auf mysteriöse Weise. Als Ursache stellen sich winzige, tödliche Blasen heraus, die sich zu einer undurchdringlichen Barriere um die Bergregion ausbreiten. In wenigen Tagen werden die Einwohner völlig eingeschlossen. Die Angst wächst und verändert die Menschen.
Mitreißend, emotional und überaus spannend. Der erfolgreiche Thriller (The Moran Phenonemon) von 2016 in einer komplett überarbeiteten und stark erweiterten Version. Erlebe jetzt die Geschichte von Dan und seinen Freunden, Sydney und den Einwohnern des verschlafenen Städtchens Moran am Eingangstor der Rocky Mountains. Jetzt noch intensiver, spannender, mit komplett neuen Dialogen und zahlreichen zusätzlichen Details. Ein Thriller, der unter die Haut geht und in Erinnerung bleibt.
ca 322 Taschenbuchseiten
Taschenbuch
eBook
The Moran Phenomenon von Perry Payne ist ein außergewöhnlicher Thriller, der Leserinnen und Leser von der ersten Seite an packt und nicht mehr loslässt. Was harmlos beginnt – vier Bankräuber auf der Flucht, die in einem verschlafenen Nest stranden – entwickelt sich rasch zu einem beklemmenden Albtraum: Mysteriöse Blasen tauchen auf, verschlingen alles, was ihnen begegnet, und lassen Moran zum Zentrum einer Katastrophe werden, deren Ausmaß niemand absehen kann.
Die Geschichte verbindet rasante Spannung, unheimliche Phänomene und tiefgründige Themen: Medienabhängigkeit, Macht, Gier – aber auch Liebe, Freundschaft und die Frage, worauf es im Leben wirklich ankommt. Die Charaktere sind vielschichtig gezeichnet, Sympathien verschieben sich ständig, und nichts ist so, wie es scheint.
Leserinnen und Leser loben die Mischung aus Thriller, Science-Fiction und Endzeitdrama. Das Buch ist „fesselnd und schlüssig“, „ein Meisterwerk voller Emotionen“ und „mal etwas ganz anderes“. Jede Szene treibt die Handlung unaufhaltsam voran, bis zur überraschenden Auflösung, die zum Nachdenken anregt.
Wer Lust auf eine packende Geschichte hat, die Nervenkitzel, Denkanstöße und mitreißende Figuren vereint, wird mit The Moran Phenomenon bestens bedient.
Thriller, ca. 322 Seiten
Taschenbuch ISBN 978-3740785222 € 12.99
eBook ISBN 978-3740778330 € 6.99
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1 Prolog
Mein Name ist Dan. Nur Dan, sonst nichts.
Manchmal frage ich mich, wo die Prioritäten im Leben liegen, wie Recht definiert wird, wo das Glück anfängt und die Sehnsucht aufhört.
Aber beginnen wir diese Geschichte von vorne: Ich bin in der Gosse aufgewachsen und hatte nicht das, was die meisten Menschen ein erfülltes Leben nennen würden. Doch was ist schon perfekt und was ist richtig oder falsch?
Ich erinnere mich, als ob es gestern gewesen wäre. Damals, mit zehn Jahren, betrat ich das erste Mal ein richtiges Kino. Dieser Besuch faszinierte mich enorm, dirigierte meine Gedanken zu einem wundervollen Traum und brachte mir zwei glorreiche Ziele für das Leben. Denn was ist das Leben ohne großartige Ziele? Mir gab es jedenfalls Inhalt und Ansporn.
Heute bin ich einundzwanzig und - ich muss es mir eingestehen - keines von diesen Zielen hat sich bisher erfüllt. Weder ist mein Handabdruck auf dem Hollywood Boulevard eingelassen, noch habe ich es geschafft, eine liebe Frau an meiner Seite zu haben und eine Familie zu gründen. Denn beide Ziele sind verdammt schwer zu erreichen. Immerhin weiß ich jetzt, dass ein Vorhaben und der ernsthafte und starke Wille, es durchzusetzen, nicht immer genügen. Das Schicksal hat wohl stets ein Wörtchen mitzureden.
Noch weiß ich nicht, wo es mich hinführt, aber ich sehe in den Abgrund und auf das Chaos der verlorenen Welt und mir wird das Ende meiner Tage bewusst und wie viel Zeit ich verschwendet habe mit Dingen, die der Bedeutsamkeit des Lebens nie gerecht werden könnten.
Es ist kalt und der Wind pfeift mir um die Ohren. Ich sehe, wie die Welt versinkt, und erkenne eiskalte Herzen der Menschen, die ich noch vor wenigen Tagen meine Freunde genannt habe.
Lange kann ich mich nicht mehr halten. Der kalte Stahl schmerzt an meinen Händen und der Untergang engt den Sendemast weiter ein. Es gibt kaum noch Raum, der für das Fortbestehen geeignet ist, und kaum noch Hoffnung. Deswegen möchte ich am Ende sagen, wie dankbar ich bin und dass nichts umsonst war, auch wenn sich die Situation anders darstellt. Sie fügt sich nahtlos in mein kaputtes Leben ein. Und genau das sollte wohl meine Bestimmung sein. Von Anfang an. Denn ich bin nur Dan. Sonst nichts.
2 Flucht nach Kanada
Wie klebriger Baumharz an den Fingern hatten sich die vergangenen elf Stunden dahingezogen, nur dass der in die Jahre gekommene dunkelgrüne Ninety Eight Regency mit den auffällig verrosteten Kotflügeln nicht ansatzweise so angenehm nach Tannenzweigen duftete. Der Schweiß der vier jungen Männer, Rauch und das alte Leder vermischten sich in der Hitze und dem engen Raum.
Bei vierunddreißig Grad und strahlend blauem Himmel hatte die Sonne den Zenit überschritten und fiel langsam hinter die hohen Berge der Rocky Mountains ab. Die Klimaanlage brummte leise vor sich hin. Sie funktionierte wie ein Weckradio mit schlechtem DAB Empfang und sprang meist in Linkskurven an und blockierte bei Geschwindigkeiten von über fünfzig Meilen pro Stunde. In den geschlossenen Fenstern verfingen sich in den Schlieren immer wieder vereinzelte Sonnenstrahlen, blitzten auf und blendeten beharrlich mal den einen und mal den anderen Passagier.
Zudem hatte sich die verbrauchte Luft mit billigem Parfüm und - seit der letzten Stunde - mit den Ausdünstungen von Kuhmist gemischt.
Die jungen Männer rasten auf ihrem letzten Weg durch die USA in ein neues Leben. Sie waren erschöpft und schliefen oder dösten. Die bewegten Gespräche waren seit Denver verstummt, nachdem der Alkohol seine berauschende Wirkung gegen eine erhebliche Bettschwere eingetauscht hatte.
Das war auch der Zeitpunkt gewesen, an dem ihnen bewusst geworden war, wozu sie Raul und der Rausch des Kokains getrieben hatte. In der vergangenen Nacht hatten sie getanzt, Leute angepöbelt und Trinkspielchen gespielt. Während dieses obsessiven Spaßes hatten sie in unterschiedlichen Bars und Klubs in Wichita einiges mitgehen lassen oder wahllos und lauthals zerstört.
Zum Ende ihres ausufernden Trips hatten sie ein Casino, einen Geldtransporter und abschließend eine kleine Bankfiliale um ein paar Scheine erleichtert. Jerome erinnerte sich, wie Dan dem Typen von der Bank unbedingt Trinkgeld hatte geben wollen, weil dieser keine nennenswerten Sperenzien bei der Herausgabe des Geldes gemacht hatte.
Dan gähnte laut und sah aus dem Seitenfenster. Jerome umklammerte das dünne Lenkrad mit dem eingearbeiteten Nussholzimitat, sah vor sich den ewig geraden Highway dreiunddreißig Richtung Jackson und musste unwillkürlich grinsen. Alle paar Meilen klopfte er gegen die Tankanzeige, um die Nadel auf den aktuellen Stand springen zu lassen.
»Das nervt«, sagte Kid heiser, der in seinem schicken hellblauen Hemd neben ihm saß. Mit halb geschlossenen Augen klappte er lax die Sonnenblende herunter und begann den Schmutz unter den Fingernägeln herauszupulen, eine schwarze Masse, die scheinbar immer wieder zu ihm zurückkehrte, wenn er nicht hinsah oder eine Weile nicht daran dachte.
»Wir müssen tanken«, sagte Jerome, der schlanke, groß gewachsene Mann Anfang zwanzig. »Die Anzeige steht auf Reserve.«
Auf der Rückbank rührte sich träge Dan. »Ich brauche ein Bett«, krächzte er. Neben ihm schlief Raul, der Älteste von ihnen.
Bisher hatten sie auf der gesamten Strecke von Wichita lediglich einmal anhalten müssen, damit Dan seinen Mageninhalt ins Freie bringen konnte, wobei die anderen diese Pause genutzt hatten, um ihre Blasen zu entleeren. Dort schnupperten sie ein wenig von der würzigen Landluft und reckten ihre müden Knochen in die Höhe. Bei dieser Rast trat Kid in einen Kuhfladen und brachte den bäuerlichen Duft in den Wagen, was eine Meile später zu einer Rangelei geführt hatte und dazu, dass Kid jetzt nur noch einen Schuh besaß. Der andere lag in Ogden, irgendwo zwischen einer schäbigen Wetterstation und dem Radiostudio UGF.
»Weiß jemand, wer den Bullen erschossen hat?«, fragte Jerome.
»Jedenfalls niemand von uns«, sagte Kid und versuchte tiefer in seinem trägen Verstand und den blassen Erinnerungen zu kramen. Er rieb sich die schmerzende Stirn. »Dan war doch im Bullys. Also kann er es nicht gewesen sein. Und da er die Knarre besaß, war es folglich keiner von uns.«
»Hab niemanden umgelegt«, kam es leise von der Hinterbank.
»Die werden uns das trotzdem anhängen.«
»Scheiß drauf, Boss«, sagte Kid zu Jerome. »Wir machen uns unsichtbar und mit der Kohle im Kofferraum brauchen wir niemandem Rechenschaft ablegen. Sollen sie erzählen, was sie wollen.«
»Noch sind wir nicht über die Grenze«, gab Jerome müde wieder.
»Nein, aber ich freue mich darauf, als ob heute Abend Bescherung wäre.«
»Du glaubst an den Weihnachtsmann? Hab ich´s mir gleich gedacht«, sagte Dan aufgeweckt, sah ihn dabei nicht einmal an und rubbelte emsig an einem unschönen Fleck auf seiner Jeans.
»Klar, Mann. Auch wenn ich als Kind nur ein einziges Mal unter einem leuchtenden Tannenbaum meine Geschenke auspacken durfte. Ich habe ein paar Jahre Weihnachten nachzuholen, und damit verdammt viele Geschenke.«
»Einmal?« Jetzt hob Dan den Kopf und sah ihn verdutzt an, dann lachte er laut los und sang: »Kid glaubt an den Weihnachtsmann.«
»Halt die Fresse«, erwiderte der.
»Selber«, entgegnete Dan verhalten und ergänzte: »Wenn du den Opi mit dem roten Umhang siehst, kannst du ihn gleich zum mir schicken. Bisher stand ich auch nicht auf seiner Besuchsliste. Scheiß Penner.« Seine Augen irrten in die Leere und der Verstand kramte in Bildern der Erinnerungen. »Obwohl ...« Er überlegte. »Einmal war ich mit Onkel Dumont im Superstore. Dort gab es einen fett gefressenen Weihnachtsmann. Wie ein König saß er in einer wunderschönen glitzernden Kulisse mit rotem Samt und künstlichem Schnee. Dumont brachte mich zu ihm auf den Schoß und ich flüsterte ihm meinen Wunsch ins Ohr.«
Kid drehte sich nach hinten. »Und, was hast du dir gewünscht?«
»Ich glaube, ich habe mir eine richtige Pizza bestellt.«
Kids Mundwinkel schoben sich in die Breite. »Der Weihnachtsmann ist doch kein Pizzabote, Alter.«
»Hey, ich war fünf oder so.« Unschuldig zuckte Dan mit den Schultern.
»Und hast du deine Pizza bekommen?«, fragte Kid grinsend.
»Ja, hab ich. Zwei Tage später, am Heiligen Abend sind wir das erste Mal in ein richtiges Pizzahaus gegangen.«
»Tolle Geschichte«, sagte Kid gelangweilt.
»Ach, leck mich doch. Ich fand es jedenfalls gut.« Dan nahm einen Block und einen Bleistift aus seiner Tasche, überblätterte die beschriebenen Seiten und begann mit seinen Notizen.
»Jetzt erwartet uns alle der Weihnachtsmann. Diesmal wird er nicht knausrig sein und schenkt uns ein neues Leben«, sagte Jerome und sah kurz von der Fahrbahn weg nach hinten. Raul hatte die Augen geschlossen und atmete tief. Er bekam nichts von allem mit.
»Tschüss, Amerika.« Wie ein Sieger reckte er seine Faust zur Frontscheibe und umschloss anschließend wieder das Lenkrad.
»Liegen wir im Zeitplan?«, fragte Kid.
»Etwa zehn Stunden bis zur Grenze«, sagte Dan beiläufig und steckte sich einen Joint an. Er blies die Nebelschwaden vor, die sich wie ein ruhender Cirrus Wolkenschleier unter die Wagendecke legte und auf seine Weise die ermattete Gemütslage ausdrückte.
»Hey Amigo, mach den Joint aus«, sagte Jerome und versank in Gedanken auf der leeren und absolut geraden Straße nach den Bergen bei Petticoat Peak. Die Felder waren kahl und die Sicht weit. Jerome mimte zu gerne den Spanier mit seinem falschen Akzent, den er manchmal vergaß, und behauptete, dass er den lieben langen Tag Siesta machen und Kastagnetten spielen könnte (was, nebenbei gesagt, niemand bei ihm je gesehen oder gehört hatte). Er schwärmte von einer Finca am Fuße der Sierra Nevada, von der heißen Sonne, seinen Kochkünsten und ließ nichts auf seine Mama kommen. Was gäbe er dafür, Carlos zu heißen, doch niemand täte ihm den Gefallen, ihn so anzusprechen. Jedenfalls erinnerte er sich immer wieder gerne an die guten alten Zeiten und die einzig erfolgreichen Jahre in seinem Leben, die aufgehört hatten, als es am schönsten gewesen war. Damals hatte er auf dem College als Kapitän der Lancaster Palms im großen Spiel gegen die L.A. Raiders antreten sollen. Mit seinem speziellen Cutters, den beinahe niemand zu schlagen bekam, war er der Held der Schule gewesen. Doch vor dem wichtigen Spiel vor zehn Jahren war er vom College verwiesen worden.
»Idioten«, fauchte er bei diesen Erinnerungen. Die anderen im Wagen reagierten nicht und er verlor sich wieder in der Vergangenheit. Nach dem College hatte er mal hier und mal da gejobbt und einiges ausprobiert, nur um festzustellen, wie anstrengend Arbeit sein konnte und wie ungeeignet sie für ihn war, um vernünftig Kohle zu verdienen und über die Runden zu kommen. Daraufhin machte er sich mit einem eigenen Unternehmen selbstständig und schraubte parkenden Autos die Räder ab, knackte sie auf und räumte sie leer. Nur wenige Monate später klaute er die kompletten Autos. An einem dieser Tage, an dem es mal wieder nicht so richtig lief, rettete Raul ihn vor den Bullen. Das war vor genau drei Tagen gewesen.
Jerome schluckte, als er aus seinen Erinnerungen in die Realität auftauchte. Der Asphalt flirrte in der heißen Luft, und der wunderschöne Herbsttag hätte genausogut das perfekte Wetter während eines Sommerurlaubs in der Karibik sein können. Nun spielte es keine Rolle mehr, welche Strapazen er hinter sich hatte. Weder in seinem vergangenen Leben noch in den letzten beiden Tagen. Er war verdammt reich. Und das konnte längst nicht jeder auf dieser Welt von sich behaupten.
Jerome blickte in den Rückspiegel. Weit und breit waren keine Bullen, kein Helikopter und keine Straßensperren zu sehen. Vor ihnen lagen das weite Land, die Freiheit und eine glückliche Zukunft.
Auch wenn ihm diese Tatsache fast zu einfach vorkam und sein unbehagliches Gefühl blieb, atmete er entspannt durch, lehnte seinen Kopf gegen die Kopfstützen und hielt das Lenkrad locker mit einer Hand am unteren Ende. Entweder hatten es die Bullen noch immer nicht geschnallt oder sie waren schlicht zu dämlich für ihren Job. Er grinste wie auf der Urlaubsreise kurz vor dem Ziel. Und mit jeder weiteren Stunde und jeder Meile fühlte es sich sicherer an.
Der blonde Dan saß mit seinen verstrubbelten Haaren (wovon eine dicke Strähne bis auf die Nasenspitze reichte) und dem seit Tagen gleichen verschlissenen und fleckigen Shirt hinter Jerome. Er war der Kleinste von ihnen und inhalierte genüsslich seinen Joint.
»Lass den Scheiß.«
Jeromes Einwand versank im Nebel des bunten Einhorns.
Dan grinste und zog einen Geldschein aus der Jeans, hielt ihn gegen das Licht und wendete ihn hin und her. Das war bisher sein größter Schein und sein erstes selbst verdientes Geld. Zufrieden legte er den Schein hinten in seinen Block, strich sanft darüber und nahm den Bleistift.
»Was schreibst du die ganze Zeit, Amigo?«
»Nichts.« Dan sah kurz auf.
Jerome griff hinter sich und verlor kurzfristig die Straße aus den Augen. Er schnappte sich den Block und schnellte nach vorne.
»Hey Alter, gib das her«, zischte Dan und schlug gegen die vordere Lehne.
»Was schreibst du da für einen Scheiß?«, wollte Jerome wissen und überflog ein paar Worte.
»Nichts. Gib mir den Block.«
Doch Jerome hielt den Block gegen das Lenkrad und begann laut und wahllos daraus vorzulesen: »Die vier Cowboys schritten mit erhobenem Haupt in die Bank von Onkel Sam.«
Er sah kurz auf die Straße, und da er noch in der Spur war, las er weiter: »Die Sonne blendete sie stärker als sonst, als ob sie ihnen absichtlich den Überblick nehmen wollte. Jemand sagte: Haltet ein, ihr Recken ...« Er sah zu Kid, dann nach hinten. »Was ist das für ein Mist? Sind wir das? Sind wir die vier Cowboys?«
»Jetzt gib das zurück oder ich ziehe dir eins über. Das meine ich ernst, Alter.«
Jerome blätterte bis zum Ende und las: »Mit ihrer Beute ritten sie gen Norden in die abgelegenen Berge. Es stand ihnen ein neues, gewaltiges Abenteuer bevor, bei dem sie kein Geld mehr brauchen würden. Sie mussten einfach nur am Leben bleiben. Ende.«
Dan schob sich zwischen den Sitzen nach vorn und riss ihm das Notizbuch aus den Händen. »Idiot. Das geht dich nichts an.«
Lennis, the Kid, auf dem Beifahrersitz sagte: »Ich finde das gar nicht so übel. Hast du mehr davon?«
»Vielleicht.« Dan lehnte sich mit verschränkten Armen zurück. Seit er Humphrey Bogart das erste Mal auf der großen Leinwand gesehen hatte, war er ein großer Kinofan und wünschte sich nichts sehnlicher, als eines Tages selbst auf einer Bühne zu stehen. Er wollte vor eintausend Leuten den Satz sagen: «Verhaften Sie die üblichen Verdächtigen.» Und: «Küss mich, küss mich, als wäre es das letzte Mal.»
Was gäbe er dafür - und was tat er alles für seinen Traum. Er lernte die Stücke auswendig und versuchte seine Filmzitate in normale Unterhaltungen einzubauen. Doch die meisten würdigten es nicht, wenn er zu Beispiel sagte: «Jemand sollte unserem kleinen Freund sagen, dass sich enge Mäntel und Pistolen nicht vertragen.»
Hin und wieder hatte Dan die Schule besucht. Zumindest anfangs, als sie nervig gewesen war, bis er feststellte, dass es warm und unterhaltsam sein konnte. Mit zwölf begriff er, dass die Schule ein Ort war, an dem man andere dazu bringen konnte, ihm sein Pausenbrot und das Taschengeld abzudrücken. Aber nicht nur das. Dan interessierte sich für so manches Thema in den Unterrichtsstunden, sofern die Lehrer das Passende erzählten. So kam es, dass er einerseits einer der besten Schüler war und andererseits ihn die Lehrer völlig falsch einschätzten. In dieser Zeit zog er sich einiges an Wissen und allerhand materielle Dinge heraus. Doch als die Schulleitung herausfand, dass er weder Eltern noch eine Wohnung hatte, sollte er nach Winfield in ein Heim abgeschoben werden. Dazu kam es nicht. Wie er es immer getan hatte, war Dan am selben Abend untergetaucht und für die meisten Leute unsichtbar geworden.
Seinen Notizblock und den Bleistift hatte er stets griffbereit, damit er, wann immer ihm ein genialer Einfall kam, seine Sehnsüchte und Gedanken aufschreiben konnte, um vielleicht einmal einen Spruch auf Papier zu bringen, der eines Tages über die großen Leinwände dieser Welt zu den Leuten getragen werden würde. Natürlich wusste er sehr gut, dass diese Träume, solange sie Träume blieben, nicht seinen Bauch füllen würden. Und vermutlich auch sonst nicht. Aber er fühlte etwas Großartiges, wenn ihn einer der seltenen einträglichen Gedanken überkam. Für ihn gab es nichts Beständigeres in seinem Leben, als die Gedanken auf das Papier zu bringen und seinen großen Zielen zu folgen. An manchen Tagen, vielleicht wenn es regnete oder wenn sein Magen die Geräusche der vorüberziehenden Autos zu übertönen versuchte, hatte er doch etwas, worauf er sich freuen konnte. Dann spielte der Tau auf seinen Wangen am Morgen keine große Rolle mehr, wenn er wieder in der Gosse in einer schäbigen Ecke aufgewacht war. In seinem bisherigen Leben hatte er abwechselnd zwischen Müllcontainern und Luxusappartements gewohnt, ganz wie es das Schicksal vorgesehen hatte. Er nahm, was er kriegen konnte, genau wie die Zehndollarnote, die ihm Raul vor drei Tagen vor die Nase gehalten hatte. Dan hatte nicht gefragt und nach dem Geld geschnappt. Und nun saß er hier im Wagen und betrachtete ausgeglichen Benjamin Franklin auf der Einhundertdollarnote.
»Eines Tages werde ich mein eigenes Geld machen. Dann seht ihr mein Gesicht jeden Tag beim Bezahlen«, sagte er und sah abwechselnd zu Kid und Jerome.
»Mach den Joint aus, hab ich gesagt. Dein Gehirn beginnt sich bereits zu zersetzen«, schnaubte Jerome genervt.
»Was hast du gegen eigenes Geld, Mann?«
»Das will ich dir gerne erklären.« Jerome drehte sich kurz nach hinten, um Dans Augen zu sehen. Was er dort zu sehen bekam, hatte er bereits geahnt. Noch immer hatten die Drogen Dan fest im Griff. Rasch richtete Jerome seinen Blick wieder auf die schnurgerade Straße. Wir haben es bald geschafft, dachte er und seine Mundwinkel schoben sich in die Breite.