Was würdest du dir wünschen, wenn du einen Wunsch frei hast?
Sydney, eine junge Studentin aus Greenville meldet sich zu einer Probandenstudie an und wird in einem Raum ohne Fenster und Türen gesperrt. Sie muss sechs Wochen lang für ihr Essen kämpfen und die Zeit überleben. Den einzigen Kontakt kann sie über einen alten Computer zu weiteren vier Probanden herstellen. Als die Zeit endlich um ist, beginnt ihr wahrer Kampf.
Thriller, Taschenbuch, 326 Seiten, Buch des Jahres (Verkäufe Franzius Verlag GmbH)
Taschenbuch
eBook
28 m² – Die Probandenstudie ist ein packender Psychothriller, der tief unter die Haut geht. Die Protagonistin Sydney findet sich in einem kahlen, fensterlosen Raum von gerade einmal 28 Quadratmetern wieder – abgeschnitten von der Außenwelt, ohne Türen, ohne Freiheit. Das Einzige, was bleibt: ein textbasierter Chat mit vier weiteren Probanden und ein streng reglementierter Alltag voller monotoner Aufgaben, geschmacklosem Brei und der ständigen Frage nach dem Sinn hinter diesem Experiment.
Mit eindringlicher Sprache schildert Perry Payne Sydneys Gedankenwelt zwischen Wahn und Wirklichkeit. Leserinnen und Leser spüren ihre Wut, Angst und Verzweiflung, teilen aber auch die kleinen Momente des Galgenhumors, wenn sie beginnt, Möbeln Namen zu geben oder eine Pflanze zum Freund erklärt. Die psychologische Intensität zieht in den Bann, und die Isolation wird so greifbar beschrieben, dass man selbst das Gefühl bekommt, in diesem Raum zu sitzen.
Die Geschichte lebt von der Mischung aus Psychothriller, Science-Fiction und Action. Sie hält die Spannung bis zuletzt aufrecht, überrascht mit unvorhersehbaren Wendungen und wirft dabei existenzielle Fragen auf: Macht Geld glücklich? Was bedeutet Gemeinschaft? Wie viel Freiheit ist ein Mensch bereit, aufzugeben?
Rezensenten nennen das Buch „einen schnellen, spannenden Psychothriller“, „rundum gelungen“ und „unglaublich packend“. Ein Werk, das nachhallt und den Leser auch nach der letzten Seite nicht loslässt.
Wer Thriller liebt, die nicht nur fesseln, sondern auch zum Nachdenken bringen, wird mit 28 m² – Die Probandenstudie eine unvergessliche Leseerfahrung machen.
Thriller, ca. 326 Seiten
Verlag: Franzius Verlag GmbH
Taschenbuch ISBN 978-396050-168-8 € 16.90
eBook € 8.99
Erhältlich:	In allen namhaften Onlineshops und im regionalen Buchhandel, ganz in deiner Nähe (auf Bestellung - Lieferzeit ca. 3 Werktage)
Die Probandenstudie – Tag 1
Heftig brummte ihr Schädel und ein bitterer Geschmack lag auf der Zunge. Schwerfällig öffnete Sydney ihre Augenlider. Sie kamen ihr wie zugeklebt und viel zu schwer vor, und verlangten ihr Willensstärke ab. Ein erstes mattes Licht fiel in ihre Augäpfel und zeigte die Umgebung schemenhaft.
Sie konnte sehen, denken, fühlen. Demnach hatte sie überlebt.
Ihre Arme fühlten sich träge und schwer an. Dazu kamen stechende Kopfschmerzen, die unter ihrer Schädeldecke hämmerten und die Schläfen pulsieren ließen.
Wie in Zeitlupe bewegte Sydney ihren Kopf und sah zur Zimmerdecke auf die dunklen schmalen Holzbretter. Die rustikale Deckenlampe besaß ein dezentes Blümchenmuster auf vergilbtem Stoffbezug und lange verstaubte Fransen daran. Das Licht war verhalten, warm und behaglich.
Die Muffige, abgestandene Luft erinnerte Sydney an einen Altbau, oder die Wohnung alter Leute.
Sie lag in einer ungewöhnlich tiefen Mulde in einem unbekannten Bett.
War sie allein?
„Hallo?“, rief sie unsicher. „Ist hier jemand?“
Schwerfällig richtete sie sich auf, stützte sich mit beiden Armen ab und hielt ihren Oberkörper aufrecht. Die Beine glitten die Bettkante herunter und sie versuchte aufzulisten, ob noch alles an ihr dran war. Die Finger waren vollzählig und bewegten sich, wenn auch schwerfällig. Der kleine Finger der rechten Hand machte zunächst Sperenzien, folgte dann aber schläfrig der Bewegung der anderen. Ihr Kopf ließ sich nach allen Seiten drehen, und die Füße wackelten wie immer. Nichts tat weh, außer dem heftigen Kopfbrummen. Zweifellos war ihr Körper kraftlos aber wohlbehalten.
Unter ihren Handflächen spürte sie den groben Stoff eines Bettüberzugs, wie sie ihn von den Großeltern her kannte. Das Bett selbst war ein massiver Kasten aus dunklem Holz. Auf dem kleinen Tisch lag ein gehäkeltes Deckchen und darauf stand eine schlichte Vase mit drei Gerbera aus Plastik und Stoff.
Der Raum war klein, schmal und lang.
Energielos wagte sie die ersten steifen Schritte, reckte sich, drehte langsam ihren Oberkörper und streckte ihre Arme in die Höhe.
Sämtliche Wände waren mit der gleichen altmodischen, graubraunen Tapete beklebt, auf der sich zartgrüne Blätter mit filigranem Muster befanden. Hier drinnen war es schlicht, ohne Bilder, Regale, Wandschmuck, einer Uhr oder einer Wandlampe. Gegenüber an der Wand stand ein schmaler Tisch, auf dem ein fetter, betagter Röhrenmonitor seinen Platz gefunden hatte. Er war eingeschaltet und zeigte ein grünes Bild mit weißer, kantiger Schrift, sowie einen eckigen Cursor, der geruhsam blinkte, als wartete er geduldig auf ihre Eingabe.
Vor dem Computertisch stand ein stattlicher alter Holzstuhl und daneben ein schlichter Hometrainer. Auf der anderen Seite folgte eine Küchenzeile mit eingelassenem Waschbecken, etwas Arbeitsfläche und einem Hängeschrank über die gesamte Breite. Die Küche war vollständig in Weiß gehalten und passte nicht zur übrigen Einrichtung mit ihren Brauntönen.
Neben dem Bett befand sich ein hoher Schrank.
Sydney tapste dorthin und öffnete neugierig beide Flügeltüren. Die Scharniere stöhnten frostig. Außer drei Kleiderbügeln und dunkelbraunem Stoff im oberen Regal wies sein Inneres nur gähnende Leere auf.
Daneben trennte eine Schiebetür die winzige Badnische vom restlichen Raum. Dahinter befanden sich eine Dusche, eine Toilette und ein winziges Waschbecken mit rahmenlosem Wandspiegel darüber. Die gesamte Einrichtung war spärlich. Von dem erhofften Komfort und dem gemütlichen Zimmer war dieser Zustand jedenfalls weit entfernt. Selbst in einem günstigen Hotelzimmer gab es zumindest diese kleinen Seifenpackungen und einen Föhn an der Wand, einen Zahnputzbecher und Toilettenpapier. Doch hier hatten die Servicekräfte entweder schlampig gearbeitet, oder ihre Aufgaben noch nicht erledigt.
Als Erstes wollte Sydney mit Scott telefonieren, tastete ihre Jeanshose ab und legte sich bereits empörende Worte über die Situation zurecht. Doch das Handy war nicht da, und auch die anderen Taschen waren völlig leer. Ihr Hausschlüssel, die kleinen Zettel und ihr Taschentuch fehlten.
So war das nicht abgemacht, dachte sie und suchte nach dem Ausgang. Doch der fehlte.
Verwirrt drehte sie sich einige Male um sich selbst. In dem schmalen Raum müsste eine Tür doch sofort auffallen, aber es gab sie nicht. Nicht mal ein Fenster.
Diese Erkenntnis trieb Angst in ihre Venen und die Panik der Platzangst keimte auf. Ein Gefühl, dass sie schon länger nicht mehr gehabt hatte, aber viel zu gut kannte.
Ihr Herzschlag beschleunigte sich und die Wände rückten scheinbar näher zusammen. Ohne, dass sie dieses Gefühl aufhalten konnte, brodelte die Platzangst wie das Erdbeben vor einem Vulkanausbruch, und Sydney spürte den heftigen Drang nach Freiheit, der Weite und frischen Luft. Üblicherweise entgegnete sie der aufkeimenden Angst mit dem Blick in die ferne Landschaft und würde zu den Wolken oder den Bergen am Horizont blicken, die ihr die Enge rasch nahmen. Es war der Augenblick, an dem sie diesen Ausblick zum Leben brauchte, zu den Wolken und den Vögeln in der Freiheit. Doch hier gab es nicht mal ein winziges Fenster. Wo, zum Teufel, befand sich der Ausgang?
Ihr Herz raste schneller und die Panik war der Feind in ihr, stark und er nutzte diese Gelegenheit für seine Gier, sich zu behaupten, zu toben und sich zu amüsieren.
Nun spürte Sydney, wie sich ihre Kehle verengte und die Atmung erschwerte. Die Ärzte vom Institut wussten davon. Sie hatte es ihnen immer wieder gesagt. Wo waren sie denn?
„Hey!“, rief sie verzweifelt. „Ich muss raus.“
An ihren Armen oder der Brust waren keine Sensoren angebracht, die in der Not ein Signal absenden könnten. Wie würden sie die Panik bemerken, bevor sie überhandnahm und sie drangsalieren oder töten würden?
Die ersten Schweißtropfen bildeten sich auf ihrer Stirn. Sie brauchte Freiheit und ihre Medizin. Jetzt.
Hektisch kreisten die Gedanken und ihre gewaltsame Entführung schoss ihr in den Sinn. Vermutlich würden diese Leute ihr nicht helfen, oder sie würden ihr wieder etwas spritzen, ihr wehtun und zu irgendetwas zwingen. Was sollte sie nur machen?
Ich muss mich beruhigen, dachte sie. Es ist alles in bester Ordnung. Rede dir bloß nichts ein, Sydney, du bist stark. Das ist ein zivilisiertes Land. Das ist nur eine Studie eines großen Institutes. Es gibt keinen Grund für meine Panik. Ich schaffe das.
Die Gedanken mehrten sich und drehten sich schneller, bis sie schreien musste, weil sie es nicht mehr aushielt: „Ich will hier raus! Lasst mich frei!“
In schneller Folge hämmerte sie mit beiden Fäusten erbittert gegen die Wand. Doch die dumpfen Schläge verebbten in der Not, aber sie schlug tapfer weiter, kraftvoll und ausdauernd, bis ihre Handballen schmerzten und sie es nicht länger aushielt und sie auf die Knie sank und leise flehte: „Wo ist der Ausgang? Wieso gibt es keinen Ausgang?“
Die Luft blieb ihr weg, ein Schwindelgefühl vernebelte die Sicht, Schweiß rann von ihrer Stirn und der Herzschlag galoppierte zum Endspurt. Ohne Frage wusste sie, was passieren würde, wenn ihre Agoraphobie nur noch einen Hauch Kraft zulegen würde. Dann ergab sie sich entweder der Ohnmacht oder einem Krampf der Atemwege, was sie in wenigen Minuten aus dem Leben drängen würde. Und niemand wäre hier und könnte noch helfen. Niemand würde sie rechtzeitig finden.
Heftig schüttelte sie den Kopf.
Reiß dich zusammen, Sydney, redete sie sich gut zu, erhob sich und drehte sich fieberhaft um sich selbst, schlug wieder gegen die Wand, auch wenn es diesmal schwächer war, so ausgelaugt und verzweifelt sie war. Ihre Hände fielen von der Wand ab und Sydney röchelte nur noch. Es war so eng. Viel zu eng.
Doch aufgeben war nicht ihr Ding. Sie schleppte sich an das andere Ende des Raumes, wo ihre Fäuste nochmals gegen die Wand hämmerten. „Lasst mich raus! Ich mache nicht mehr mit. Bitte, lasst mich frei. Ich will euer Geld nicht. Bitte.“
Erschöpft hielt sie inne und lauschte reglos mit dem Ohr an der Wand. Ihre schnelle Atmung und die Luft, die sich rasselnd und pfeifend durch ihre eingeengte Luftröhre zwängte, waren die einzigen Geräusche in der absoluten Stille.
Weder Stimmen noch Schritte waren zu hören, kein Rauschen hinter der Wand, keine Autos oder leise Musik. Warum war es still? Waren die Wände so dick, und wo waren die vielen anderen Probanden? Auf welcher Seite lag der Flur, wo der Ausgang und wo waren die Ärzte und das Personal?
Ihr Brustkorb hob und senkte sich viel zu schnell, die Arme hingen verkrampft herunter und ihre Augen waren aufgerissen. Sie rang nach Luft und die Einsamkeit schmerzte.
Hatte sie niemand gehört, und interessierte sich überhaupt jemand für ihre Angst?
Mühevoll saugte sie mit geschlossenen Augen ihre Lungen mit Sauerstoff voll und öffnete langsam die Lider.
In der oberen Zimmerecke hing eine kleine schwarze Kamera und auch in der gegenüberliegenden Ecke war eine weitere befestigt. Demnach konnte man sie sehen, vielleicht sogar hören.
Energisch winkte sie in die vordere Kamera und rief: „Ich will es beenden. Lasst mich raus.“
Dann starrte sie hoffnungsvoll in die Linse und wartete. „Hilfe!“, krächzte sie und lauschte wieder auf Schritte, das Rasseln von Schlüsseln, oder irgendwelche Stimmen. Abwechselnd blickte sie zu den Wänden, zur Decke und über den Boden.
Natürlich musste jemand kommen und sie frei lassen. Sie war schließlich keine Gefangene. Oder doch? Die Gedanken an ihren gewaltsamen Beginn ließen sie nicht los. Gesichter, Spritzen, Fesseln und Gewalt malträtierten ihren Geist.
Ruhig, Syd, ermahnte sie sich erneut. Nur die Selbstbeherrschung konnte sie noch retten, falls niemand zu Hilfe kommen würde, und andere Gedanken, Ablenkung und der Glaube an das Gute.
Vielleicht war diese Situation ihre erste Prüfung, und die Ärzte und Wissenschaftler würden eifrig vor den Monitoren sitzen und ihr Verhalten auswerten? Sie studierten sie doch, oder?
Für den Moment entspannten diese Gedanken die Agoraphobie und damit den zugeschnürten Hals. Ihr Herz wurde zum Taktgeber, wie der laute Sekundenzeiger einer Bahnhofsuhr. Ein Takt, mit dem sie ruhig wurde und das erste Mal die Angst der Enge ohne fremde Hilfe überwinden konnte.
Nur, warum tat sich nichts und warum kam niemand zu Hilfe? Wo waren sie denn?
Starr, mit durchgestreckten Knien, geballten Fäusten und geradem Rücken lauschte sie in die Stille hinein. Sekunde um Sekunde, Minute um Minute stand sie reglos, fast verkrampft nahe der Wand beim Computer, um nur kein mögliches Geräusch zu verpassen.
Doch es war still. Und genau diese Lautlosigkeit verstärkte ihre innere Unruhe und trieb Sydney tiefer in die Verzweiflung, bis sie schrie, auf den Boden sank und flehte, und sich wieder aufbäumte und mit schmerzenden Handballen fest gegen die Wand schlug. Das durfte doch alles nicht wahr sein. Wo war sie nur gelandet? Wofür brauchte das Institut sie und die anderen Probanden und was hatten sie vor?
Übelkeit stellte sich ein. Angst. Leichtes Zittern.
Sydney röchelte wieder und stützte sich auf ihren Knien ab. Sie bekam nicht genug Sauerstoff und ihre Augäpfel schoben sich nach oben.
Eine dominante Hitzewelle brach ihre restliche Konzentration und zerfetzte spielend jegliche logische Gedanken.
Helft mir!, flehte sie innerlich, dann wurde es dunkel um sie herum und sie kippte rücklings, schlug gegen das Bett und rang nach Sauerstoff. Luft! Ich brauche Luft. Hilfe!
Wie ein beständiger Glockenschlag hämmerten die Gedanken auf dem letzten Weg. Sie wusste jetzt, dass sie ihre Agoraphobie nicht aus eigener Kraft in den Griff bekommen würde. Es war vorbei.
Luft!
Wirre Bilder trieben zwischen ihre Gedanken und tauchten sie in eine Trance. Da war ein Feld mit Sonnenblumen, ein Karussell, und Scott, wie er lächelnd zu ihr sah. Er wirkte glücklich.
Ihr Körper bekam zu wenig Sauerstoff, ihre Hände zitterten, dann folgten ihre Beine dem unkontrollierten Tanz. Und sie sah ihr wunderschönes Hochzeitskleid vor sich schweben und den goldenen Ring mit dem kleinen Sternchen darauf, der die Sonne so stark reflektierte, dass es blendete. Im Gegenlicht bildete sich ein Schatten, der anwuchs und auf sie zu kam. Es war Scott mit ihrem wundervollen Brautstrauß aus Lisianthus, rosa Levkojen und zarten Rosen. Es war ihr Tag. Genauso sollte er sein. Der schönste Tag ihres Lebens.
Sein Lächeln war bezaubernd, als wäre Scott real bei ihr, um ihr sein Vertrauen, die Zärtlichkeit und seinen Beistand zu schenken.
Dieses wunderbare Gefühl beruhigte sie und öffnete ihre Kehle. Gierig japste sie nach Luft und legte ihre flache Hand auf ihre Brust, die sich tapfer aufbäumte, am Leben festhielt und ihr die Sicht zurückgab. Endlich Sauerstoff. Sydney musste husten, schnappte mehrmals nach Luft und stützte sich erschöpft auf. Ein dezentes Lächeln huschte über ihre Lippen. Scott hatte sie gerettet.
Noch immer zitternd, wischte sie sich mit eiskaltem Handrücken über ihre nass geschwitzte Stirn und schmunzelte zerbrechlich.
Ihr Blick hatte sich in der blassen Maserung der Holzdielen auf den Boden verloren.
Das Röcheln flaute ab, die Luftröhre wurde frei.
Wie lange war sie schon hier, und wie spät war es überhaupt? Sie hatten ihr doch die Uhr, das Smartphone und alles andere genommen.
Noch schwindlig taumelte Sydney zum Monitor. Vielleicht zeigte er die Uhrzeit. Auf die Lehne des Holzstuhls gestützt, suchte sie das Bild ab. Eine Uhrzeit gab es nicht.
Wie sollte sie ohne Uhr und den Blick in den Himmel herausfinden, wann sie zu Bett gehen musste, wann aufstehen oder zu Mittag essen? Essen? Was würden sie ihr anbieten? Gab es eine Speisekarte oder eklige Wurst und Mahlzeiten aus einer drittklassigen Großküche?
Die verschwitzten Handflächen wischte sie sich an den Seiten der Jeanshose ab, reckte ihren Rücken durch und erkundete die karge Küchenzeile. In den Schränken fand sie einen einzigen Teller, eine Schüssel und eine Tasse, und in den Schubkästen lag ein einsamer Löffel in der Besteckablage. Messer und Gabel fehlten, genau wie Flaschen- oder Dosenöffner. Ein silberner Topf stand unterhalb der Spüle. Keine Abwaschbürste, kein Lappen, kein Spülmittel. Nichts dergleichen war zu finden.
Der kleine Abfalleimer war blitzblank und leer. Ein Kühlschrank oder die Minibar, ein Herd und eine Kaffeemaschine fehlten genau wie jedes andere Küchenequipment.
Sydney hatte Durst und öffnete den silbernen Wasserhahn. Hier tat sich nichts. Genervt starrte sie darauf und drehte von warm auf kalt und wieder zurück, machte ihn vollständig auf und wieder zu. Die Leitung war trocken.
Irritiert zog sie ihre Lippen zusammen und stützte sich mit beiden Händen auf der Arbeitsplatte ab. Zumindest war es sauber. Die wissen hoffentlich, was sie tun, dachte sie und blickte hinter sich.
Dort befand sich das kleine Bad. Vielleicht gab es darin Wasser?
Schnell fand sie heraus, dass auch hier der Wasserhahn trocken blieb, und aus der Dusche ebenfalls kein einziger Tropfen kam.
Bekümmert grübelte sie. Dabei schoben sich ihre Augenbrauen zusammen und bildeten zwei Fältchen dazwischen. Ihre schmalen trockenen Lippen bewegten sich aufeinandergepresst.
Ohne Wasser entspannte sich die komplizierte Situation nicht gerade. Es musste doch eine Tür geben, ein Weg hier raus und eine Möglichkeit, diesen Albtraum zu beenden. Wenn sie hier rein gekommen war, konnte sie ebenso auch wieder rauskommen.
Flink drückte sie ihren Handballen gegen die Wand, versuchte, sie aufzuschieben, dann probierte sie den Spiegel nach innen zu stoßen, zu den Seiten zu ziehen und vorzuklappen. Aber er war fest verschraubt und rührte sich kein Stück. Im folgenden kam sie auf die verrücktesten Ideen, um nach einem Ausgang zu suchen.
Die kargen, weißen Fliesen in der Dusche saßen fest und die Toilette ließ sich nicht verrücken. Fest entschlossen, den Ausgang zu finden, verließ sie das Bad und untersuchte die Decke und nacheinander die Wände nach Rissen und Fugen, die auf eine Öffnung deuten könnten. Eine gewissenhafte Begutachtung der Schiebetür und des Fußbodens folgten. Alles schien völlig normal zu sein. Nichts war auch nur ansatzweise auffällig, und nirgends gab es eine Tür.
Das kann doch nicht wahr sein, dachte sie, sah sich wieder um und blieb vor einer Kamera stehen. Die Linse spiegelte sie verkehrt herum und das Zimmer wider. Erbost schrie sie zur Kamera: „Ich habe Durst!“
Für den Fall, dass die Leute sie nicht hören konnten, öffnete sie ihren Mund und deutete einige Male mit dem Zeigefinger hinein. Diese Geste müsste jeder verstehen.
Unheimliche Stille umgab sie.
Nichts war zu hören, außer dem leisen Surren des Monitors, sowie vom Lüfter des Computers unter dem Tisch. Ganz so, als ob ihre Ohren mit Watte verstopft gewesen wären, war dies der stillste Ort, den sie je erlebt hatte. Eine beängstigende Ruhe.
Um überhaupt irgendetwas zu hören, tippte sie in schneller Folge mit den Fingern auf die Arbeitsplatte, dann lief sie über die Dielen und lauschte ihren Schritten. Die weichen Sohlen ihrer Ballerinas aus grobem Chambray hinterließen nebelhafte Geräusche. Deutlicher war das Reiben ihrer Kleidung durch die Bewegung der Arme und Beine zu hören, sowie das leichte pfeifen der Atemluft.
Sydney blieb stehen und hielt die Luft an, womit die Welt verstummte. Ihr Herz pochte kräftig und gleichmäßig. Dieser Raum fühlte sich wie ein monströser Sarg an, tief unter der Erde, nahe dem Magma und den Dämonen aus den schlimmsten Träumen der Bösewichte dieser Welt.
Ihre Angst kehrte zurück und trieb erneut Schweißperlen auf ihre Stirn. Die Temperatur im Raum schien in Windeseile nach oben zu schnellen.
Gierig schnappte sie nach Luft. Zum Rasseln ihrer Atemwege mischte sich das leise Pfeifen.
Die unheimliche Stille brachte die Leere in den Verstand und das unvermeidliche Gefühl der Isolation, der Einsamkeit und Hilflosigkeit.
Sie schluckte trocken und die Speiseröhre kratzte.
Wieso, um alles in der Welt, sprach niemand mit ihr?
Sydney senkte den Kopf und leckte über ihre trockenen Lippen.
Blöderweise waren sechs Wochen in der Einsamkeit verdammt lange. Schon jetzt war es unerträglich und unverantwortlich. Würde sie diese lange Zeit ohne Tageslicht auskommen müssen, ohne Geräusche und die frische Luft? Für diese Herausforderung waren viertausendzweihundert Dollar eindeutig zu wenig Geld. Die unverschämte Freiheitsberaubung war deutlich mehr wert als das. Genau genommen war sie unbezahlbar, und wenn Sydney das vorher gewusst hätte, dann wäre sie im Traum nicht darauf gekommen, das Angebot anzunehmen. Sie beschloss, das Institut zu verklagen, falls sie nicht in den nächsten Minuten hier raus kommen würde.
„Lasst mich frei!“, schrie sie wieder und erschrak selbst über ihre laute, krächzende Stimme. Immerhin brachte der Gefühlsausbruch etwas mehr Luft in ihre Lunge.
Müde strich sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und setzte sich resigniert auf das Bett. Von dort sah sie das kleine Quadrat auf dem Monitor auffordernd blinken. Ja, das war es. Vielleicht konnte sie etwas mit dem Computer anfangen.
Sie sprang auf, ging dort hin und drückte die Entertaste.
In der linken, oberen Ecke erschien eine Zahl: #1026, ihre Personalnummer. Darunter standen drei Zeilen in weißen kantigen Buchstaben:
C:\User\Admin\text\dir *.txt /s
Volume in Laufwerk C: hat keine Bezeichnung.
1 Datei(en). 2 Bytes
In der oberen rechten Ecke befand sich eine Prozentanzeige mit der Zahl 82.
Stur starrte sie darauf und rieb sich die linke Armbeuge, schob den Ärmel ihrer Bluse nach oben und sah den juckenden Bereich. Das war die Einstichstelle, mit einem deutlichen Bluterguss in der Größe einer Eindollarmünze.
Nachdenklich schob sie den Ärmel wieder herunter und strich ihn mehrmals glatt.
Dann tippte sie auf der Tastatur: Hallo! und drückte die Entertaste. Der Cursor blinkte eine Zeile darunter. Vor ihrem Wort hatte es die #1026: eingefügt.
Sonst geschah nichts.
Erneut schweifte ihr Blick durch den viel zu kleinen Raum.
Das leise Piepsen vom Computer lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Bildschirm. Jemand hatte geantwortet.
#1433: Hallo, wer bist du?
Sie las es noch einmal. Es redete jemand mit ihr.
Spürbar erleichtert flogen ihre Finger über die Tastatur.
#1026: Ich bin Sydney Connor, eine Probandin.
Die 1433 war ebenso eine vierstellige Nummer, weswegen am anderen Ende der Leitung eine Teamkollegin sein könnte, kombinierte Sydney und schrieb weiter. Wie heißt du? Enter.
Der Cursor blinkte in der Zeile darunter.
Dann piepste es und eine Nachricht erschien:
#1433: Ich bin Marco Martinez und auch wegen der Studie hier. Dummerweise fehlt in meinem Zimmer das Fenster. Auch habe ich weder ein Radio noch einen Fernseher. Sag mal, gab es bei dir Schokolade auf dem Kopfkissen?
#1026: Schokolade? Nein. Aber ich bin froh, mit jemandem zu schreiben. Weißt du, wie man den Versuch abbrechen kann?
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten:
#1433: Das mit der Schokolade dachte ich mir. Das ist ein schlechtes Zeichen. Aber deswegen würde ich nicht abbrechen wollen. Hast du schon die Nase voll?
#1026: Das Zimmer ist mies, und ich habe auch kein Fenster. Nicht mal eine Tür. Ich habe keine Ahnung, wie ich hier gelandet bin.
#1433: Der Komfort ist wirklich mies. Aber es gibt viel Geld. Ich denke, dafür lohnt es sich, eine Weile darauf zu verzichten.
#1026: Mir geht es nicht darum. Sie haben mich gegen meinen Willen entführt. Außerdem gibt es kein Wasser.
#1433: Wasser? Warte kurz, ich habe das noch nicht getestet.
Sydney starrte auf die Zeilen und schrieb:
#1026: Hast du eine Ahnung, wo wir überhaupt sind?
Nichts.
Marco brauchte eine Weile.
Die Anzeige in der oberen rechten Ecke verringerte sich auf 80%.
#1106: Hallo. Ich bin Judy Moore, fünfundvierzig Jahre und eine Probandin. Weiß jemand, was wir machen müssen? Sämtliche Schränke sind leer und ich habe keinen Prospekt mit Anweisungen gefunden. Ich habe ein ungutes Gefühl bei der Sache.
Sydney schmunzelte. Da war noch jemand.